Storm: Thriller (German Edition)
das das Einzige, worin Mitchell Talley jemals gut gewesen war. Das Einzige in seinem Leben, wo er sich absolut sicher gefühlt hatte. Nach Lage der Dinge schien mir das eine sehr einleuchtende Erklärung zu sein.
»Wann wurde er zum letzten Mal hier in der Gegend gesehen?«, wollte ich wissen. »Hat er seine Mutter gelegentlich besucht?«
Cowen zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Wir haben ja gerade erst mit den Ermittlungen angefangen. Wir haben das Haus noch nicht einmal nach Fingerabdrücken abgesucht. Sie wurde eben erst gefunden. Da haben Sie richtig Glück gehabt.«
»Ja, wirklich, so ein Glück.«
Das große öffentliche Interesse an dem Heckenschützenfall schien auch die Leute hier oben nervös zu machen. Anscheinend wussten alle, wer ich war, und machten einen großen Bogen um mich.
»Kein Problem. Es hätte mich überrascht, wenn Sie schon weiter gewesen wären«, sagte ich zu Cowen. »Aber ich habe die eine oder andere Idee, wie wir die Sache angehen könnten.«
80
Jetzt geschahen in Brick Township mehrere Dinge auf einmal, und zwar vor allem deshalb, weil es sein musste.
Ich ließ meine Kontakte zur Field Intelligence Group in Washington spielen, um eine Verbindung zu dem FIG -Kontaktmann in der Außenstelle von Newark zu bekommen. Da es Sonntagabend war und wir den begründeten Verdacht hatten, dass Mitchell Talley den Bundesstaat verlassen hatte oder es zumindest tun würde, bekamen wir einen vorläufigen Fahndungsbefehl. Jetzt hatte Cowen achtundvierzig Stunden Zeit, um einen vollgültigen Haftbefehl zu erwirken. In der Zwischenzeit konnte Newark sämtliche Strafverfolgungsbehörden an der Ostküste in Alarmbereitschaft versetzen.
Vorerst wollten wir weder Steven Hennessey noch überhaupt einen Komplizen erwähnen. Der Fahndungsbefehl war lediglich auf Mitchell Talley ausgestellt, und zwar mit der Begründung, dass man ihm im Zusammenhang mit dem Tod von Bernice und Robert Talley einige Fragen stellen wolle. Wo immer unsere mutmaßlichen Heckenschützen sich aufhalten mochten, ich wollte zuerst noch weitere Einzelheiten in Erfahrung bringen, bevor ihnen klar wurde, dass wir zwischen den Vorfällen hier oben und den Ereignissen von Washington einen Zusammenhang hergestellt hatten.
Cowen war damit einverstanden, mir an dieser Front ein bisschen Deckung zu geben. Dafür stellte ich einen Kontakt zur FBI -Außenstelle in Newark her, damit Cowens Leute für die Suche nach dem Verdächtigen zusätzliche Unterstützung bekamen. Irgendjemand hatte in einem von Bernice Talleys Fotoalben eine etwas aktuellere Aufnahme ihres Sohnes entdeckt, die jetzt überall in der näheren und weiteren Umgebung verteilt wurde, zusammen mit der Aufforderung, den Gesuchten bei der Polizei zu melden, falls er gesehen wurde.
Realistisch betrachtet konnte man nicht damit rechnen, dass Talley sich noch in der Umgebung aufhielt. Darum konzentrierten wir uns auch in erster Linie auf Autodiebstähle, Verkehrsknotenpunkte und die Überwachungsaufnahmen der verschiedenen lokalen Flughäfen, Busbahnhöfe und Bahnstationen. Mit ein bisschen Glück bekamen wir vielleicht einen Augenzeugen oder sogar eine verwertbare Videoaufnahme in die Hand.
Die verheißungsvollste Aussage bisher stammte von einer älteren Nachbarin von Mrs. Talley. Sie hatte vor ein paar Tagen abends eine Limousine vor dem Haus stehen sehen. Aber sie kannte weder die Marke noch konnte sie sich an die Farbe erinnern, geschweige denn daran, wie lange der Wagen da gestanden hatte.
Ich gab trotzdem Jerome Thurman Bescheid, der bei diesem Fall von Anfang an alle Spuren, die irgendwie mit Fahrzeugen zu tun hatten, in meinem Auftrag verfolgt hatte.
Doch mit der Zeit wurde das Gefühl immer stärker, dass ich schon viel zu lange aus Washington weg war. Gut möglich, dass Talley und Hennessey gar nicht die Absicht hatten, dorthin zurückzukehren – falls sie überhaupt da hergekommen waren. Aber ich musste vom Gegenteil ausgehen, nämlich davon, dass sie schon wieder in der Stadt waren und ihren nächsten Anschlag planten.
Sobald ich mit Detective Cowen alles Nötige besprochen hatte, setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr nach Hause. Ich fuhr schnell und hatte die Sirene im Dauerbetrieb.
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Am nächsten Morgen um halb neun bog Colleen Brophy von der E-Street in den Kirchhof mit dem Büro der True Press ein. Ich wartete auf sie. Sie trug einen überfüllten Rucksack auf dem Rücken, hatte beide Arme voll mit Zeitungen und im Mundwinkel eine
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