Sträfliche Neugier
jenen Tag, als
sein Biologielehrer Doktor Curtius von einem ›Ausflug in die Welt der
Insekten‹ schwärmte und alle Überredungskünste dafür anwandte, dass er ihn
dabei begleite. Mittels einer speziellen Substanz würden sie sich bis auf
Ameisengröße verkleinern und sich in einen Hummelbau begeben. Zunächst hatte er
Bedenken zu solch wunderlichen Expeditionen geäußert, die Doktor Curtius aber
mit handfesten Argumenten widerlegen konnte. Schließlich hatte er seine
Beteiligung zugesagt, allerdings nur unter der Bedingung, seine Schwester
Franziska mitnehmen zu dürfen, womit sich der Lehrer einverstanden erklärte.
Aus verschiedenen Gründen konnte die geplante Expedition
doch nicht stattfinden. Zum Ausgleich hatte Doktor Curtius ihn und Franzi
zunächst in eine Pizzeria eingeladen. Anschließend waren sie aufs Oktoberfest
gegangen. Dort hatten sie zum Abschluss noch eine Fahrt mit der Achterbahn
unternommen. Doch dann war ihm etwas Schreckliches widerfahren. Als ob er
gerade aus einem Traum erwachte, sah Markus nun wieder alles genau vor sich:
Als sein Wagen den höchsten Punkt erreicht hatte und sich
bereits nach vorne neigte, um seine rasende Fahrt über schräge und steil
abwärts führende Kurven aufzunehmen, war ihm plötzlich übel geworden.
Unvorsichtigerweise hatte er sich etwas aus dem Sitz erhoben, weil er
befürchtete, sich übergeben zu müssen. Im Wagen vor ihm befanden sich Franzi
und Doktor Curtius, die nichts von seinem Unwohlsein bemerkten. Zudem ging
alles auch so rasch, dass Robby die beiden nicht mehr verständigen konnte. Aber
selbst wenn er hätte rufen können – in dem Gekreische der vielen laut
juchzenden Leute wäre jedes Wort untergegangen. Sein Körper wurde durch die
Zentrifugalkraft mal nach links, mal nach rechts an den Wagenrand gedrückt. Als
kurz vorm Ende der Fahrt der Wagen nochmals in eine Haarnadelkurve hineinraste,
wurde er über die Bordwand geschleudert. Er war dann hinuntergestürzt, wobei
sein Gesicht eine Eisenstrebe streifte. Bevor er auf dem Boden aufschlug, hatte
sich sein Fuß in einem Sicherheitsnetz verfangen, was ihm wohl das Leben
rettete. Nur einen Augenblick lang war er liegen geblieben, stark blutend und
mit rasenden Schmerzen. Den Lärm um sich herum hatte nur wie ein böses Dröhnen
vernommen. Mühsam hatte er sich dann erhoben und war wie betäubt und an
Fahrgeschäften und Bierzelten vorbeigetaumelt, bis er neben dem Wohnwagen eines
Schießbudenbesitzers zusammenbrach. Wie ein verwundetes Tier war er unter den
Wagen gekrochen, dann verließen ihn seine Sinne.
Als er seine Augen wieder aufschlug, war es finsterste
Nacht. Um ihn herum herrschte Totenstille, nur aus der Ferne vernahm er den
Großstadtlärm. Unter starken Schmerzen hatte er sich unter dem Wohnwagen
hervorgerollt, sich dann zitternd von dem kalten, harten Boden aufgerappelt und
war wie ein Betrunkener ziellos davongetorkelt.
Dann war da noch etwas mit einem Auto.... Aber hier hörten
seine Erinnerungen abrupt auf. Bis er eine Frauenstimme an seinem Bett vernahm:
» Na du machst ja schöne Sachen. Hier bist du aber gut aufgehoben. Möchtest
du mir etwas sagen?«
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Teil 6
38
Die
Haushälterin
D er
Kummer über das spurlose Verschwinden ihres Zwillingsbruders Robert lastete
lange Zeit auf Franziska. Sie verließ das Gymnasium und machte nur den
Realschulabschluss, denn sie wollte schnell einen Beruf ergreifen, der ihr auch
den Umgang mit vielen Menschen ermöglichte. Nach einer zweieinhalbjährigen
Lehrzeit in einem Münchener Hotel absolvierte sie an der Städtischen
Fachakademie für Hauswirtschaft noch einen entsprechenden Lehrgang, und nach
einem weiteren Zusatzstudium fand sie schon bald an der Privaten
Hotelfachschule Lukullus in München eine Anstellung als Hauswirtschaftslehrerin.
Noch im gleichen Jahr – sie war gerade zweiundzwanzig
geworden – heiratete sie den Kunstmaler Paul Millert, ihre erste große Liebe.
Sie trug nun den Namen Julia Millert , denn nichts sollte sie mehr an ihr
vergangenes Leben erinnern. Ihre Eltern hatten ihr den Zweitnamen Julia
gegeben, zum Gedenken an ihre Großmutter väterlicherseits.
Leider war ihre glückliche Ehe nur von kurzer Dauer, denn
Paul kam zwei Monate nach ihrer Hochzeit durch einen tragischen Unfall ums
Leben. Dieser Schicksalsschlag hatte sie hart getroffen. Deshalb fiel ihr die
Unterrichtung temperamentvoller und fröhlicher junger Mädchen von Tag
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