Straight White Male: Roman (German Edition)
ist das aktuell rund …« – Braden tippte auf einem Taschenrechner herum, den er von irgendwo hervorgezaubert hatte, während Kennedy an einer gingetränkten Olive lutschte – »… eine Dreiviertelmillion Dollar. Steuer. Frei. Außerdem können wir deine steuerlichen Verbindlichkeiten aufgrund des langen Auslandsaufenthaltes fürs nächste Jahr massiv reduzieren.«
Bradens Augen glänzten und tanzten beim Absondern dieser hohlen Phrasen. Amerikaner und ihre kranke Haltung zu Steuern.
Schon so manche Dinnerparty-Konversation zu diesem Thema war für Kennedy fast in Gewalt ausgeartet. Auch nur einen einzigen Cent Steuern zu zahlen war für einen Yankee nicht nur lachhaft, sondern offenbar bereits Ausdruck einer kommunistischen Überzeugung. Wenn so ein Produzent oder Studioboss sich beim Nachtisch an ihn heranschmiss und Sachen sagte wie: »He, ich hab da einen Tipp für Sie. Hat mich ein Kumpel drauf gebracht. Das Geld geht auf die Cayman-Inseln …«, dann lautete Kennedys Antwort üblicherweise: »Sie rauben also gerne arme Menschen aus? Warum ziehen wir dann nicht gemeinsam los und überfallen Obdachlose oder setzen ein paar Müllcontainer in Brand, Sie gewissenloses Arschloch?!« Aber die Idee, Steuern zu zahlen, war hier drüben selbst den Ärmsten der Armen zutiefst verhasst. Sogar in Kentucky, in Gegenden mit dem höchsten Prozentsatz an Menschen, die auf Lebensmittelmarken angewiesen und in der Regel auch noch überzeugte Republikaner waren. Als wären übergewichtige, ultrarechte Arme ein obskures neuzeitliches Phänomen.
Kennedy vermutete, dass es mit dem Horatio-Alger-Mythos zu tun hatte, diesem Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Schwachsinn, an den immer noch so viele Amerikaner glaubten. Die wundersame Auflösung zu Beginn des dritten Aktes, in dem sie alle reich werden. Die Idee, Steuern zu zahlen, gefiel ihnen nicht, weil sie, selbst wenn sie auf der Straße lebten und sich von Müll ernährten, noch immer überzeugt davon waren, nur einen Schritt vom ganz großen Wurf entfernt zu sein. Kennedy glaubte fest an die Prämisse »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen«. Wie konnte es da passieren, dass ausgerechnet er über eine Million Dollar Steuerschulden hatte? Nun, so sehr ihm die faire Verteilung von Wohlstand gefiel, so sehr liebte es Kennedy Marr, Geld für Autos, Anzüge und Champagner auszugeben.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Braden zu.
»Letztendlich müsste ich dir einen Scheck über 1,5 Millionen Dollar an Land ziehen, damit dir nach Steuern und Abzügen noch siebenhundertfünfzigtausend davon bleiben, mein Freund. Und das wird so schnell nicht passieren.«
Kennedy dachte einen Augenblick nach. »Dann mach ich halt alle offenen Aufträge fertig. Die Vorschüsse bei Abgabe …«
»Selbst das reicht nicht, um deine Steuerschulden zu begleichen und auch noch deine Lebenshaltungskosten fürs nächste Jahr zu decken.«
»Gottverdammt, geht es denn immer nur ums Geld?«
»Werd mal erwachsen«, sagte Braden.
Connie ergänzte: »Darling, das ist deine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte.«
»Es ist ein beschissener Deportationsbefehl. Eine gottverdammte zwangsweise Rückführung ist das.«
Kennedy seufzte und würdigte diese beiden Verschwörer gegen seine Freiheit keines Blickes. Er betrachtete den grünen Garten im Innenhof des Chateau Marmont. Das frühabendliche Sonnenlicht fiel im flachen Winkel durch die Baumwipfel. Der Straßenlärm des Sunset Boulevard war dank der hohen, dicht bewachsenen Mauern, die die echte Welt auf Abstand hielten, kaum zu hören. Eine rothaarige Schönheit im hautengen schwarzen Kleid schlug ihre sanft schimmernden Beine übereinander. Ein Kellner goss Champagner ein. Ein Mann schnitt seinen auf den Punkt gebratenen Brioche-Burger an, woraufhin der Stapel Pommes frites auf seinem Teller ins Wanken geriet. Ein paar Tische weiter saß eine Brünette und lächelte Kennedy an. Sie ging auf die vierzig zu. Wenn diese Titten echt waren, dann sollte sie damit im Fernsehen auftreten. Unbedingt sogar. Einen Augenblick lang verspürte er eine tiefe und innige Liebe für alles, was mit dieser Stadt zu tun hatte. Für den Verkehr. Für die Naturburschen. Für jedes groteske und überflüssige Meeting, zu dem man ihn je gezwungen hatte. Er verspürte sogar Zuneigung für diese Agenturheinis, die bei Meetings Headsets trugen und die komplette Sitzung mitschnitten.
Und für einen Moment hatte er das deprimierende Gegenteil dieses
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