Strandglut 27 Short(s) Stories
Plastik, bald nach getrockneten Feigen und Datteln, dann wieder stieg ihm das Kamelaroma der Nomadenteppiche in die Nase oder der Duft von Knoblauch und Gyros reizte seinen Gaumen. Er genoss den Hauch von Pfefferminz und Kardamon und fühlte sich in dem Menschengewirr ganz zu Hause.
Hüseyin betrachtete die Auslagen der Händler, prüfte hier die Standfestigkeit einer Zucchinikiste, dort die Inszenierung der Gewürze und nannte es Konkurrenzbeobachtung. Vor den Auslagen eines Teppichladens inspizierte er die Hängetechnik des Händlers.
‚Großgüter Allah’ dachte er, ‚das kann doch nicht wahr sein’. Da hockte dieser hilflose Berliner, der gestern neben ihm im Flugzeug gesessen hatte, und ließ sich einen billigen Teppich als Antiquität andrehen. Hüseyin focht einen inneren Kampf. Einerseits gönnte er seinem Landsmann das Geschäft, andererseits war nicht auch der Berliner sein Landsmann? Hüseyins angeborener Geschäftssinn siegte über alle ethnischen Überlegungen. Niemals würde der Teppichhändler bei Hüseyin in Schöneberg seine Melonen kaufen! Er öffnete die Tür und zwängte sich neben den Berliner.
„Wie viel will er haben?“, fragte er. Als Hüseyin den Preis hörte, sagte er: „Kaufen sie nicht, das wäre schlechte Investition.“ Der Berliner folgte ihm zögernd aus dem Laden. Hüseyin ignorierte die wüsten Beschimpfungen des Händlers und sagte: „Sie fünfhundert Euro zu viel zahlen für eine fauler Apfel.“ „Aber es war ein schöner alter Teppich“, sagte der Berliner. „Ich werde Ihnen zeigen, wo es gibt gute Teppiche und faire Preise“, sagte Hüseyin.
Nach einem Crashkurs in türkischer Teppichknüpfkunst und dem Kauf einer antiken Replik war der Berliner so glücklich, dass Hüseyin sich unversehens mit ihm im besten Restaurant diesseits des Bosporus wiederfand. Und so saßen zwei an einem Tisch, die sich in Berlin wahrscheinlich niemals kennen gelernt hätten: Hüseyin Cengiz in seinem anthrazitgrauen Anzug und Prof. Rainer Duisberg in zu kurzen Jeans und zu großer Nylonjacke.
„Sie wohnen in Berlin?“, fragte Duisberg.
„In Schöneberg, seit zweiunddreißig Jahren.“
„Kommen Sie aus Istanbul?“
„Nein, aus einem kleinen Dorf in Anatolien“. Wieso er ihm geholfen habe, wollte der Professor beim Aperitif wissen.
„Händlerehre“ sagte Hüseyin und setzte zur Kundenwerbung an: „Ich habe eine sehr wichtigen Beruf, kein gutes Leben ohne frisches Obst und Gemüse.“
„Sie haben ein Gemüsegeschäft?“
„Bestes Geschäft von Berlin“. Als er die Adresse nannte, nickte der Professor, ja, das sei ihm schon aufgefallen.
„Und Ihre Profession?“
„Oh, ich habe auch einen sehr wichtigen Beruf“, sagte Duisberg und schmunzelte. „Ich bin Professor für Mathematik.“
„Schwer?“ fragte Hüseyin und Duisberg nickte. „Ja, sehr schwer. Aber kein modernes Leben ohne mathematische Forschung.“
„Man muss heute rechnen können“, stellte Hüseyin fest.
„Stimmt“, sagte der Professor, „aber man sollte vor allem alles rechnen können.“
„Kann man nicht?“ Hüseyin war erstaunt.
„Nein, noch nicht alles. Es gibt noch Vermutungen, die nicht bewiesen wurden.“
„Wirklich? Was für Vermutungen?“
„Zum Beispiel können wir bis heute das Kugelproblem, das der Mathematiker Johannes Kepler bereits 1611 formuliert hat, nicht lösen.“
„Was ist ein Kugelproblem?“ frage Hüseyin.
„Streng genommen ist es kein Kugelproblem, sondern das Problem der Kugelpackung“, setzte der Professor an. „Interessanterweise ist das Problem relativ einfach zu lösen, solange man das Keplersche Problem in der Ebene analysiert. Aber sehen sie, selbst dieses einfache Problem blieb mehr als 300 Jahre ungelöst, bis einige Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern fast gleichzeitig voneinander unabhängige Beweise präsentierten.“
„Moment, Moment“, sagte Hüseyin, der inzwischen ganz aufgeregt war. Waren denn diese Wissenschaftler völlig durchgeknallt? „Ich verstehe nicht richtig. Sie packen Kugeln in Ebene, was heißt das?“
„Das heißt, dass die Kugeln nur in einer Schicht nebeneinander gelegt werden, so dass die Fläche optimal genutzt ist.“
Hüseyin griff nach dem Messer. Er zeichnete mit dem Messer ein Rechteck auf das Tischtuch und darin mehrere Reihen Kugeln. „So?“
„Ja, genau so, die optimale Gitterstruktur.“ Der Professor nickte.
„Dreihundert Jahre, um das auszurechnen? Allmächtiger, das ist doch ganz einfach! Jede
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