Strandglut 27 Short(s) Stories
Sachen in seinem Zimmer auf ihn. „Ich muß ran, Mama, meine Leser warten“, sagte er, als Mutter sich zu einem kleinen Pläuschen bei ihm niederlassen wollte. „Ich bin undankbar“, dachte er bei sich, als seine Mutter die Tür hinter sich zuzog. Im selben Moment hatte er seinen Computer gestartet. Er konnte es kaum erwarten, bis die E-Mails geladen waren. Im Briefkasten war eine Nachricht von Schneewittchen: „Guten Morgen, Du ungläubiger Thomas. Ich hatte einen Traum: Wir tanzten in einem großen Ballsaal Walzer. Die Tanzfläche war eine Wolke, auf der wir schwebten und die Musik war so überirdisch schön, dass ich geweint habe. Danke für diesen Tanz, Thomas und komm’ bald wieder. Schneewittchen.“
Schneewittchen. Er hatte sie im Internet gefunden. Schneewittchen, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Sie schrieb Geschichten. Wunderschöne, sensible Geschichten. Märchen für Erwachsene, Parabeln, Gedichte. Thomas hatte Schneewittchen eine Mail geschickt. Das war der Anfang ihrer Freundschaft gewesen. Freundschaft? Nein, Liebe. Thomas war sich sicher. Schneewittchen, ich liebe dich. Seine Traumfrau. Die ihm niemals gehören würde. Denn welches Schneewittchen würde sich schon mit einem Querschnittsgelähmten abgeben. Ich möchte sie wenigstens einmal sehen, nur ein einziges Mal, dachte Thomas. Sie wird ja nicht wissen, dass ich es bin, denn ihr Thomas kann tanzen. Thomas wusste, dass er ihr bald die Wahrheit sagen musste. Zu nah waren sie sich inzwischen gekommen, eine virtuelle Liebe, mit viel Gefühl, Verstand und Erotik. Schneewittchen. Das zauberhafte Mädchen aus den Bergen, das auf ihre sieben kleinen Brüder aufpassen musste. Er war nicht ihr Prinz, der sie von dort wegholen konnte. Er war ein verdammter Krüppel. Aber er musste sie sehen. Er wollte wissen, wie sie aussah, wie sie roch. Wollte von ihr träumen können. Thomas nahm das Telefon. Er würde in die Berge fahren. Morgen würde er hinfahren. Nachdem er seinen Ausflug organisiert hatte, schrieb er ihr eine e-Mail: „Das war der schönste Tanz meines Lebens. Ich werde nie den Duft Deiner Haut vergessen. Thomas.“ Und dann wandte sich Thomas seinem Job zu. Nach seinem Unfall konnte er natürlich nicht mehr als Chirurg praktizieren. Dafür betreute er für eine große Gesundheitszeitschrift die online-Redaktion und beantwortete Leseranfragen. Nebenbei schrieb Thomas medizinische Fachbücher. Er rief sein Programm auf. „Ich habe immer trockene Augenlider...“ Du liebe Güte, die Leute konnten Probleme haben!
Es war eine lange Fahrt. Sein Fahrer war ein ziemlich wortkarger Mann und Thomas schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Endlich kam die Autobahnabfahrt, die er auf der Landkarte herausgesucht hatte. Sie führte direkt in einen Wald, der steil anstieg. Welch’ eine wunderschöne Gegend, dachte Thomas. Nach einer etwas zwanzigminütigen Fahrt sahen sie auf einem Hügel ein altes, fast zerfallenes Haus. Das muss es sein, dachte Thomas. Was würde er tun, was würde er sagen. Er wusste es nicht. Als sie um eine Kurve fuhren, hätten sie fast ein Kind auf einem Fahrrad gerammt. Das Kind hatte so einen Schreck bekommen, dass es vom Rad fiel. „Mensch, passen Sie doch auf“, fauchte Thomas seinen Fahrer an. Der Mann stieg aus und versuchte dem Kind auf das Rad zu helfen. Offensichtlich hatte es sich verletzt. Thomas beobachtete die Szene von seinem Sitz aus. Sein Fahrer stellte das Rad an einen Baum und half dem Kind auf die Beine. Als es näher kam, sah Thomas, dass es kein Kind war, sondern eine Zwergin. Sie hatte sich am Fuß verletzt und blutete. „Wir nehmen die junge Dame mit in ihr Haus“, sagte der Fahrer. „Zeigen sie mal ihr Bein“, sagte Thomas. Die Zwergin funkelte ihn misstrauisch an: „Schon gut, es blutet nur ein bisschen.“ „Geben Sie doch bitte mal den Verbandskasten, Peter“, sagte Thomas zu seinem Fahrer. Und zu der Zwergin: „Kein Angst, ich bin Arzt, aber ich kann mich nicht bewegen. Sie müssen schon ein bisschen näher kommen, damit ich Ihnen helfen kann.“ Die Frau humpelte zu ihm. Thomas säuberte die Wunde und legte der Frau einen Druckverband an. „Wieso können sie sich nicht bewegen“, fragte sie ihn, während er sich an ihrem Bein zu schaffen machte. „Ich bin querschnittsgelähmt“, sagte Thomas ohne aufzublicken. „Ach so“. Thomas blickte hoch in ihr Liliputaner Gesicht. Sie lächelte ihn spitzbübisch aus klugen graugrünen Augen an. Dann untersuchte sie den
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