Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
unheimlich, und die Wunde sah schlicht falsch aus, wie alle Wunden aus der Echtwelt.
Es tut mir leid. Das sprach ich nicht aus. Stattdessen stand ich auf und fröstelte, als ich wieder aus dem Fenster sah. Die Schneeflocken waren erstaunlich, dick und wattig. »Wie oft schneit es hier so?«
»Ungefähr vier oder fünf Mal jeden Winter. Die Schule ist morgen wieder geöffnet, denn heute Nacht fahren die Schneepflüge durch. Du solltest wieder hingehen.«
Ja, das ist mir jetzt auch gerade wichtig! Ich rieb mir die Schläfe, wo die Beule verschwunden war. Sie tat immer noch ein bisschen weh, tief unter der Haut. Ich hasse solche Beulen, die sich verstecken! Man denkt, sie sind weg, aber nein, sie haben sich bloß direkt neben dem Knochen verbarrikadiert und piesacken einen weiter.
Mein Rücken krampfte, als ich mich behutsam streckte. »Ich habe keine großen Träume, die mich in der Schule halten. Was bist du, ein Beratungslehrer?«
»Du musst an den Rest deines Lebens denken.« Er klang vollkommen ernst, genau wie ein Berufsberatungslehrer, und schob sich das Haar wieder nach hinten. »Ehrlich. Die Highschool ist ja nicht für immer, sonst hätte ich mich längst umgebracht.«
Womit wir schon zwei wären. »Die Highschool ist völlig egal! Mit achtzehn darf ich rauchen und wählen, nicht zu vergessen: mir einen anständigen Job suchen.«
»Aber nur, wenn du nicht weiter schwänzt. Wer einen anständigen Job finden will, muss sich an die Spielregeln halten und die Highschool abschließen, damit einem ein guter Abschluss den Weg auf das College ebnet. Andernfalls endet man als Säufer auf dem Supermarktparkplatz wie mein beknackter Stiefvater.« Graves streckte sich. Inzwischen hatte seine Augenfarbe sich in ein schläfriges Moosgrün verwandelt. »Kann ich noch ein Sandwich kriegen?«
»Du weißt ja, wo die Küche ist.« Ich muss den Truck finden. Und danach muss ich herausbekommen, wer Dad das angetan hat – und wem diese Telefonnummer gehört. Ich ballte meine linke Hand zur Faust und schob sie in die Tasche, wo ich den Zettel fühlte. Die Nummer war meine bisher einzige Spur.
Fast hatte ich erwartet, dass Graves mich weiter nerven würde, aber offenbar war er wirklich klug, denn er ließ mich allein im Wohnzimmer, wo noch ein Rest des gruseligen Gestanks in der Luft hing. Er ging auch nicht weg, als ich den uralten Staubsauger holte und die Asche bis auf den letzten Krümel in einen sauberen Beutel saugte.
Es war alles, was mir von Dad blieb, und er verdiente eine Beerdigung. Er verdiente, neben Mom begraben zu werden.
Der falsche Gedanke, mit dem alles noch viel schlimmer wurde. Etwas in meiner Brust riss auf, und ich hatte meine liebe Not, es halbwegs im Zaum zu halten. Das war das Komische an alten Wunden: Sie warteten einfach ab, bis eine neue hinzukam, und dann tauchten sie mit derselben Wucht und Grausamkeit wieder an die Oberfläche wie an dem ersten Tag, an dem man aufgewacht war und die Welt sich komplett verändert hatte.
Ich klebte den Staubsaugerbeutel zu und steckte ihn in die feuerfeste Kiste. Anschließend musste ich mich eine Weile über den Deckel beugen, um die Schluchzer zu ersticken, die unbedingt herauswollten, während Graves in der Küche klapperte, den Wetterbericht im Radio hörte und ab und zu Zeilen der Songs mitschmetterte, die sie spielten.
War ich froh, dass er gute Laune hatte!
Kapitel 16
D er heftigste Schneesturm dauerte keine Woche, sondern drei Tage, und Graves entpuppte sich als ein recht passabler Koch. Ich selbst bin keine Niete in der Küche – dafür hatte Gran gesorgt, aber der Gothic war eindeutig begabter. Er machte mir Omeletts und kochte trinkbaren Kaffee, auch wenn er, wie bei den meisten Zivilisten, zu schwach ausfiel. Er schlief auf Dads Liege, die wir in mein Zimmer gezogen hatten, und legte jeden Morgen alle Decken und Laken ordentlich zusammen.
Ich hatte das Gefühl, er würde sich extra von seiner Schokoladenseite zeigen. Vor allem aber tat es gut, mitten in der Nacht halb wach zu werden und jemanden atmen zu hören. Als wäre ich mit Dad in einem Hotelzimmer. In solchen Momenten musste ich ein bisschen lächeln, drehte mich um und schlief ziemlich gut weiter.
Am dritten Tag fiel mir dennoch allmählich die Decke auf den Kopf. Eine nervöse Anspannung staute sich in mir auf, die ich abzubauen versuchte, indem ich auf den Sandsack in der Garage eindrosch. Ich fröstelte, sobald der Schweiß auf meiner Haut verdampfte, und schlug auf das Leder
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