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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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wenig verletzte, dass sie diese Entscheidung traf, nicht um mich schneller oder für längere Zeit wiederzusehen, sondern aus erbärmlichen finanziellen Gründen.
    Ich hatte mich entschieden, ohne den Ausgang des Gesprächs am Nachmittag abzuwarten. Ich nahm alle Kohle an mich, die im Büro Cheikh Nouredines aufzufinden war, sogar die Zehn-Centimes-Münzen. Ich hatte fast fünfzehn- oder zwanzigtausend Dirham in Devisen und Münzen. Mehr Cash, als ich je gesehen hatte, ich hätte mit dem Taxi in den Vorort von Nador fahren und Meryem holen können, ich hätte einfach gesagt, hier sind zehntausend Dirham und danke für Ihre Mühe, ich nehme diese junge Frau mit, niemand hätte etwas dagegen sagen können.
    »April ist der Monat des Staubs und der Lüge.«
    Ich packte meine Sachen, die hundert Krimis nahmen unglaublich viel Platz weg, ich leerte Pakete, die wir gerade aus Saudi-Arabien bekommen hatten, um alles zu verstauen: Insgesamt waren es mit dem Al Kaschschaf , den Geschichten von den Propheten , dem Wörterbuch und den Büchern, die mir gefielen, drei große Kartons; meine wenigen Kleidungsstücke waren auf diese Kisten verteilt; außerdem packte ich ein: den Laptop, den Bildschirm, die Tastatur und zwei oder drei Dinge, die ich aufbewahren sollte.
    Ein richtiger Umzug, aber kein Ort, wo ich hinkonnte.
    Als alles fertig gepackt war, fuhr ich mit dem Bus in die Freihandelszone; ich ließ alle meine Sachen im »Haus der Verbreitung«, nahm nur die Kohle und den Laptop mit, das macht Eindruck, ein Laptop. Ich rechnete damit, dass Jean-François sich nicht mehr an mich erinnerte, oder aber, dass seine Sekretärinnen (sehr dunkle Marokkanerinnen mit kurzem Rock, schwarzen Nylonstrümpfen, schönen Beinen, Misstrauen im Blick und in der Stimme) mich nie zu ihrem Chef vorlassen würden, doch nein, zehn Minuten nach meiner Ankunft in dem Unternehmen drückte ich Jean-François die Hand; er siezte mich schon, sagte, ah, der Freund der Série Noire , schön, Sie zu sehen, und plötzlich sahen die Frauen in schwarzen Strümpfen und Minirock den jungen Araber, der gerade gekommen war, als ein menschliches Wesen an; der Chef verschwand sehr schnell, ich wurde in ein winziges Zimmer eingeschlossen, an das sich das Büro des Firmenleiters anschloss, ein Franzose tauchte auf, er gab mir ein Buch; er sagte, gut, unsere Aufgabe besteht darin, daraus digitale Dateien zu machen, schreiben Sie zwei Seiten aus diesem Buch auf diesem Computer ab. Ich nahm das Ding, legte es auf einen Buchständer und begann mit dem Abschreiben, während der Franzose auf seine Uhr schaute, einen großen, glänzenden Chronometer; nach zwei Seiten sagte ich, okay, ich bin fertig, er sagte, nicht schlecht, alle Achtung, Sie haben Nerven, lassen Sie mich einen Blick darauf werfen, aber ja, das ist echt gut, warten Sie einen Augenblick. Jean-François kehrte zurück, der andere nannte ihn Monsieur Bourrelier, er sagte über mich, er ist gut, Monsieur Bourrelier, kein Problem, Jean-François lächelte mir zu, er sagte, ich wusste, er würde ein guter Mitarbeiter sein, regeln Sie zusammen die Einzelheiten, Frédéric.
    Frédéric rief die Sekretärin, sie nahm meine Papiere, fotokopierte sie; Frédéric fragte mich, wann ich anfangen könne, ich überlegte eine Sekunde: Wenn Judit morgen nach Tanger kommen würde, wollte ich die Zeit mit ihr verbringen. Nächsten Montag? Das passt mir gut, erwiderte Frédéric. Sie werden nach Seiten bezahlt, eine Seite à zweitausend Zeichen fünfzig Centimes in Euro. Also ungefähr einhundert Euro für ein durchschnittliches Buch. Davon werden Ihnen die Korrekturen abgezogen, zwei Centimes pro Korrektur. Bei zwanzig Büchern im Monat verdienen Sie um die zweitausend Euro, wenn Sie gut arbeiten.
    Ich überschlug seine Rechnung schnell: Um auf zwanzig Bücher im Monat oder, anders ausgedrückt, zweihundert Seiten am Tag zu kommen, musste man fünfundzwanzig Seiten in sechzig Minuten abtippen. Eine Seite alle zwei Minuten. Dieser Frédéric war ein Optimist. Oder ein Sklaventreiber, je nachdem.
    »Wäre es nicht einfacher, die Bücher einzuscannen?«
    »Nicht bei allen. Bei Büchern, deren Papier leicht durchsichtig ist, ist es nahezu unmöglich, es kommt nichts Vernünftiges dabei heraus. Die optische Zeichenerkennung versteht nichts davon, außerdem muss man jedes Buch auseinandernehmen, den Umbruch neu machen, korrigieren, letzten Endes kommt das teurer.«
    Für mich war das Chinesisch, was er sagte, aber er musste

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