Straße der Diebe
Jahrhunderten nachtrauern, in denen Spanien arabisch war, während sie über andalusische Texte seufzen, von denen sie nur die lexikalische Schwierigkeit erfassen. Sie sagte, wir studieren dieses Gedicht von Ibn Zaidun, jenes Fragment von Ibn Hazm, den sie Aben-Hazam nannte, und ich eilte in eine Buchhandlung, um das fragliche Buch zu finden; meistens war es für mich ein Wunder, ein Kleinod aus einer anderen Zeit, in einem Arabisch, das meinem Mund und meinen Ohren unglaubliches Vergnügen bereitete. Trotz der gefallenen Frontsoldaten und Casanova fühlte ich mich dank Judit sehr arabisch; ich verfolgte ihre Stunden Tag für Tag: Sie stellte mir Fragen zur Grammatik, ich schlug die Grammatiker und die klassischen Kommentatoren auf, um eine Antwort für sie zu finden; sie hörte von einem Autor, und ich lieferte ihr vom nächsten Tag an ein Dossier mit Textauszügen und Auslegungen.
Natürlich passten solche Aktivitäten nicht zur Lebensweise meiner Mitbewohner, zu denen ich durch eine Art Solidarität unter französischen Unternehmen gekommen war, die ihr Möglichstes taten, damit ihr Personal leichter an Wohnraum gelangte; Adel, Yacine und Walid kamen alle drei aus Casablanca, sie waren »Techniker« und arbeiteten in der Fabrik eines Autozulieferers am Band. Sie erlebten mich jeden Abend über meine Bücher oder die Karteikarten von Gefallenen gebeugt und hielten mich für verrückt. Manchmal riefen sie mir zu, Lakhdar khouya , mein Bruder, du wirst noch taub und blind werden, was du da machst, ist schlimmer als Masturbation, komm mal mit an die frische Luft, damit du Mädchen siehst! Nein, nein, er wird höchstens das Meer sehen, aber das kann ihm nicht schaden. Moulay Lakhdar, du bist weiß wie eine Knabenunterhose, komm, atme mal ein wenig Luft aus dem Auspufftopf unserer Karre! Und schließlich brachen sie auf, Ohrhörer in den Ohren, nach Tanger mit seinen Wonnen, um im Auto bei voll aufgedrehter Musik stundenlang herumzukurven und zum Abschluss, gegen Mitternacht, einen Hamburger zu mampfen, aufgewühlt wie ein Sack voller Flöhe zurückzukehren, sich vor den Fernseher zu fläzen und dabei einen Joint nach dem anderen zu rauchen, bevor es am nächsten Tag in die Fabrik zurück ging.
Seit dem Attentat hatte ich weder von Cheikh Nouredine noch von Bassam gehört, sie waren nicht wieder aufgetaucht; nach und nach hatte meine Angst nachgelassen, die Polizei könnte aufkreuzen, die »Gruppe zur Verbreitung des koranischen Gedankenguts« schien weit weg zu sein, irgendwo in der Ferne der endlosen, von Prolls wie mir bevölkerten Vorstädte, die doch so nah lagen; natürlich verfolgte ich die Nachrichten im Fernsehen; man hatte schließlich drei Verdächtige festgenommen, von denen ich keinen kannte: Sie hatten kauzige Gesichter und machten keinen intelligenten Eindruck, aber Verbrecherfotos sind selten schmeichlerisch. Ich erwartete jeden Tag die Nachricht von der Verhaftung Cheikh Nouredines und Bassams, aber nichts dergleichen geschah.
Nur wenige Tage nach Judits Abreise gab es ein weiteres grässliches Attentat, das mir an die Nieren ging, als wäre ich selbst dabei gewesen, vielleicht, weil wir selbst kurze Zeit zuvor am Tatort gesessen hatten. Das Café Hafa hängt an einem Steilhang über dem Mittelmeer, versteckt zwischen den Bougainvilleen und Jasminsträuchern der Luxusvillen in diesem Stadtviertel; es ist vielleicht der berühmteste Ort in Tanger und an schönen Tagen einer der angenehmsten (der Tisch, etwas abseits, wo Judit meine Hand genommen hatte, bevor sie mich küsste, ist in meiner Erinnerung, ich habe seither oft daran zurückgedacht, ich schämte mich, sogar sehr, ich fürchtete, man könnte uns sehen, sich in der Öffentlichkeit zu küssen ist bei uns ein Delikt), besonders wenn nicht viel los ist, gegen Mittag zum Beispiel, und wenn es einem vorkommt, als hätte man das Meer und die ganze Meerenge für sich. In der Zeitung las ich, dass ein Mann ins Café gestürmt war, einen langen Dolch oder einen Säbel gezogen und eine Gruppe junger Leute an einem Tisch angegriffen hatte, bestimmt, weil Ausländer dabei waren; ein Marokkaner in meinem Alter starb, ein anderer Mann, ein Franzose, wurde am Schenkel verletzt; sie waren mit zwei jungen Spanierinnen dort: alle vier Studenten der Universität für Übersetzungswissenschaften von Tanger. Verfolgt von Gästen und Kellnern, floh der Angreifer über den Felsen, und es gelang ihm zu entkommen. Sein Phantombild war dem Artikel beigefügt; er hatte
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