Straße der Diebe
den bösen Weißen von Madrid geworden war. Von Zeit zu Zeit begleitete ich Mounir in eine Bar, um ein Fußballspiel zu sehen, aber ohne große Begeisterung.
Ich ging in die Bibliothek, las dort Essays über die Geschichte Spaniens, die Geschichte Europas, ich hatte ein großes Heft, in dem ich mir Notizen machte; ich versuchte, ein wenig Katalanisch zu lernen, ich besaß ein Vokabelheft, ich schrieb Wörter auf, Fragmente von Sätzen, Verben. Gott weiß warum, aber die katalanische Sprache schien mir sehr altertümlich, eine sehr alte kleine Sprache, die von mittelalterlichen Rittern und gnadenlosen Kreuzrittern gesprochen wurde – vielleicht wegen der vielen x und ihrer seltsamen Phoneme.
Ich übte auch mein Spanisch und pflegte mein Französisch, obwohl französische Taschenbücher ziemlich schwer zu bekommen waren – man fand aber doch immer wieder welche in Ramschbuchläden. Ich hatte den Plan, mir einen E-Book-Reader zu kaufen, aber ich wusste noch nicht, welchen. Es gab Tausende von Büchern kostenlos im Netz, die gesamte französische Literatur oder nahezu die gesamte. Man konnte ins Schwärmen kommen, auch wenn nach meinen Recherchen die Krimis nicht so zahlreich waren. Unter dem Pseudonym Eugène Tarpon schrieb ich ab und zu etwas in einem Forum für »Kriminalromane«; ich hatte dort virtuelle Freunde gefunden, die alle Krimi-Quellen im Web kannten.
Ich war also gut beschäftigt, der Intellektuelle von der Straße der Diebe.
Wenn es so weiterging, würde mir bald eine Brille wachsen.
Und dann begann am 29. März der Aufstand, wie ein auf dem Herd vergessener Schnellkochtopf, der explodiert, wenn niemand damit rechnet.
Am Vorabend hatte mich Mounir zu einem Spiel von Barça in eine Bar geschleppt, es ging in der Champions League gegen Mailand und endete 0:0, ein ziemlich langweiliges Spiel, aber in angenehmer Gesellschaft: Wir waren vier Araber, saßen an einem Tisch vor unseren Bieren und ließen, während wir Patatas bravas verputzten, allerhand Blödsinn vom Stapel, ein guter Moment, auch wenn die Fußballfans lieber Tore und einen Sieg ihrer Mannschaft gesehen hätten. Besonders beeindruckt haben mich in diesen Fußballbars immer die Mädchen dort, hübsche junge Frauen im Trikot von Barça, die Bier aus der Flasche tranken und mindestens ebenso krakeelten wie die Männer, es war herrlich – unter uns sprachen wir darüber in einem Kauderwelsch aus Marokkanisch, Tunesisch, Französisch und Spanisch, in der Sprache der Zukunft, einer neuen Sprache, entstanden in den Bars der Armenviertel von Barcelona; wir waren uns darin einig, dass Mädchen vor dem Fernseher in den Kneipen bei uns fehlten – das liegt daran, dass wir nicht Fußball spielen können, sagte Muhammad aus dem Rif mit seinem Berberakzent, hätten wir einen Club wie Barça, kämen auch die Mädchen, um ein Bier zu trinken und sich die Spiele anzusehen. So einfach ist das. Es geht Hand in Hand.
Die Erklärung war in der Tat überzeugend, aber Mounir fand etwas einzuwenden: Das hat nichts miteinander zu tun, schau dir bloß Frankreich an. Sie spielen keinen guten Fußball, sie haben keinen Club, der mithalten kann, und trotzdem sind dort auch biertrinkende Mädchen in den Bars.
»Das ist wirklich verblüffend«, sagte ich. »Aber Frankreich war schon mal Weltmeister. Man kann also von einem Zusammenhang zwischen dem fußballerischen Niveau im Allgemeinen und der Anzahl von Frauen in den Kneipen ausgehen.«
»Zählt die Afrikameisterschaft etwa nicht?«
»Für die Tunesier vielleicht; ihr Marokkaner habt das Finale verloren, weil ihr nicht genügend Mädchen in euren Bars habt, aber hundert Pro. Wir haben jetzt übrigens Freiheit, ihr nicht.«
»Das stimmt, übrigens hat Ägypten die Afrikameisterschaften so oft gewonnen, dass Kairo berühmt ist für seine weiblichen Fans im Bikini, die bei den Übertragungen herumkrakeelen und den Bildschirm mit Bierflaschen bewerfen.«
»Man braucht nur mal genauer hinzusehen, die siebzig Fans, die beim letzten Ligaspiel in Ägypten gestorben sind, waren alles Frauen, und offenbar noch dazu ganz hübsche.«
»Wer hat dieses Jahr eigentlich die Afrikameisterschaft gewonnen?«
»Sambia.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Wo ist denn das, Sambia?«
»Und was es dort erst an Mädchen in den Cafés geben muss …«
Wir haben viel gelacht. Es tat gut, das tägliche Klauen, das Tellerspülen in den Restaurants, die Zementsäcke oder einfach das Exil zu vergessen.
Die Einheit der arabischen
Weitere Kostenlose Bücher