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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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las aus der Hand und so. Der Indianer machte Heiltränke. Nicht wie ein Quacksalber, sondern eher wie ein Medizinmann. Wissen Sie, einer, bei dem man für sein Geld auch was Gescheites kriegt. Sie haben auch harmloses Zeug verkauft, Liebestränke, Glücksbringer, der übliche Mist. Aber überwiegend Heilmittel, und damit machten sie ein ganz gutes Geschäft, und ich verrat Ihnen auch warum. Nicht, was Sie denken. Nicht, weil viel Alkohol und ein bisschen Zucker und Essig drin waren. Sondern weil die Heilmittel wirkten.
    Das ging mir gegen den Strich, ich geb es offen zu. Immerhin bin ich ausgebildeter Arzt. Zwar bloß ein Landdoktor, ja, aber auch kein Pfuscher. Nur, dieser Indianer brachte Dinge zuwege, da konnte ich nicht im Entferntesten mithalten.
    Die alte Mrs. Jameson plagte seit Jahren ein Gebrechen. Ihre Hände waren so verwachsen wie eine alte Eiche. Ihre Knöchel waren immer geschwollen, entzündet. Manchmal so schlimm, dass die Haut aufriss. Ich hatte bei ihr schon alles probiert, konnte aber nicht mehr für sie tun, als ihre Schmerzen zu lindern. Bis der nächste Schub kam. Und die Schübe kamen immer öfter. Die Ärmste konnte kaum noch ihre Hände öffnen. Sie sahen aus wie gebrochene Vogelkrallen.
    Als dann der Indianer hier war und es sich herumsprach, dass seine Medizin wirkte – gegen Warzen im Gesicht genauso wie gegen Krupp –, da ging sie zu ihm und kaufte ihm irgendeine Salbe ab. Bis dahin hatten mich einige seiner Heilerfolge überrascht, aber nichts davon hatte mich sonderlich beeindruckt, er hatte keine Wunder vollbracht. Doch dann rieb die alte Mrs. Jameson ihre armen alten Hände mit seiner Salbe ein, und die Schmerzen verschwanden. Sie kam bei mir vorbei, ganz stolz, um mir zu zeigen, wie gut es ihr nun ging. Natürlich wollte sie mich damit auch vorführen, als Quacksalber bloßstellen. Nur gab es eben keinen Zweifel: Ihre Hände sahen nicht nur besser aus, sie verheilten sogar, die Missbildungen gingen zurück. Eine Woche lang mit dem Zeug dieses Indianers eingerieben, und sie hatte die Hände einer Zwanzigjährigen. Sie waren nicht nur von den schrecklichen Symptomen befreit, sondern weich, geschmeidig, schön. Wenn Abby ihre Hände neben die von Mrs. Jameson gelegt hätte, wären die der alten Dame hübscher gewesen.
    Na ja, um es kurz zu machen, bald wurden der Indianer und seine Negerin fast wie Heilige verehrt. Auch allgemein änderte sich die Einstellung gegenüber Farbigen ein bisschen. Abgesehen von Caleb, der einen Riesenhass auf alles hat, was nicht weiß ist. Er war ja auch nicht krank, und ihn plagten keine Gebrechen. Er ist zäh wie ein Maulesel, dafür aber auch genauso dumm.
    Also, die Hautfarbe des Pärchens kam den Leuten hier anscheinend mit jedem Tag ein bisschen heller vor, und ihren Wagen hatten die beiden brav außerhalb der Ortschaft abgestellt.
    Da immer irgendjemand irgendetwas hatte, führten sie inzwischen fast eine Art fahrende Landarztpraxis, und bei mir war kaum noch was los. Ab und zu durfte ich noch jemandem einen Holzsplitter aus dem Finger ziehen und solche Sachen, aber wenn es was Ernsthaftes war, ging man zum Indianer. Das brachte mich auf die Palme. Du lebst mit den Leuten in so einer Gemeinde, bringst ihre Kinder zur Welt, siehst die Alten sterben, kümmerst dich dein Leben lang um all ihre Krankheiten, und da kommst du dir wohl irgendwann wichtiger vor, als du tatsächlich bist.
    Ich ging also raus zu ihnen, um mit ihnen zu reden, ihnen für alles zu danken, was sie für die Leute hier getan hatten, aber der Indianer durchschaute mich sofort. Er wusste gleich, dass ich vor allem aus Neugier bei ihm auf der Matte stand, und um ihm vielleicht was von seinen geheimen Heilkünsten abzuschauen. Tja, so war es tatsächlich.
    Und wie der Indianer mich so ansah und mich dabei anlächelte, da kam ich mir plötzlich vor wie der letzte Depp. Und seine Frau – na ja, es fällt mir nicht leicht, das jetzt zuzugeben, wo Abby hier sitzt, aber ich fühlte mich zu ihr hingezogen. Sie war nicht nur schön, sie war einzigartig. Schlank und hochgewachsen, die Haut geschmeidig und braun wie Milchkaffee, und ihr Haar hatte sie geflochten wie eine Indianerin. Die blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Die zogen einen magisch an. Und eine tolle Figur, sodass es – entschuldige, Abby – in mir auf eine Art rumorte, wie ich es in meinem Alter eigentlich nicht mehr für möglich hielt.
    Das brachte mich ganz durcheinander. Wahrscheinlich plagten mich Schuldgefühle

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