Straße in die Hölle
uns die Freiheit selbst erkämpfen. Man bestaunt nicht eine ruhige Wiese, sondern nur einen feuerspeienden Berg.« Sie blieben vor dem großen Lazarettzelt stehen. »Gibt es etwas Neues, Paulo?«
Alegre sah Gebbhardt an, dann wanderte sein Blick zu Norina. »Ich habe erfahren, daß Areras jeden Tag meine Alja belästigt. Er lauert ihr auf, bietet ihr Geld, greift ihr an die Brüste und an den Hintern …«
»Auch das noch!« Bandeira zerrte das Moskitonetz auseinander. Der Geruch von Blut, vermischt mit dem Dunst der heißen Luft, schlug ihnen entgegen. Die beiden Arbeiter, die das Boot umgestoßen haben sollten, saßen auf Hockern vor Dr. Santaluz. Ihre Gesichter waren verquollen und blutig, man konnte sie kaum erkennen. Die nackten Oberkörper sahen aus, als hätten sie auf einem Grill gelegen. Breite blutige Striemen zogen sich darüber hin.
»Statt Salben sollte man ihnen Pfeffer in die Wunden streuen!« knurrte Bandeira. » Doutôr , wie geht es ihnen?«
»Sie sind wieder klar, Hauptmann.« Dr. Santaluz wandte sich um. Sein Blick traf Gebbhardt wie ein Pfeil, dann wanderte er weiter zu Norina Samasina. Sie hielt dieser Musterung mit trotzigem Stolz stand. Ja, schien ihr Blick zu sagen, ich habe mit dem Deutschen geschlafen, Stefano. Mit ihm und nicht mit dir. Frag nicht, warum – ich gebe dir keine Antwort darauf.
Gebbhardt ging zu den Mißhandelten und betrachtete sie stumm. Dann wandte er sich um und bemerkte die Mauer aus feindseligem Schweigen: Santaluz, Norina, Bandeira und Paulo Alegre waren sich einig in ihrer Mitleidslosigkeit.
»So also sieht die Freiheit aus«, sagte er bitter.
»Nein. Was Sie sehen, sind Steine, die wir aus der Wand unseres Gefängnisses herausgebrochen haben.« Bandeira trat vor und verabreichte jedem der Mißhandelten eine schallende Ohrfeige. Ihre geschwollenen Köpfe zuckten zurück, aber sie gaben keinen Laut von sich. »Wer hat den Auftrag gegeben, die Boote umzustoßen?« fragte Bandeira.
Die beiden Arbeiter schwiegen. Bandeira trat achselzuckend zurück.
»Sind sie gehfähig?« fragte er Santaluz.
»An den Beinen haben sie nichts«, erwiderte der Arzt.
»Arbeitsfähig?«
»Sie können auch die Arme bewegen.«
»Raus mit euch!« befahl Bandeira. »Zur Brückenkolonne!«
Die beiden Arbeiter erhoben sich und taumelten, sich gegenseitig stützend, durchs Zelt.
»Halt!« sagte Gebbhardt laut. »Hauptmann Bandeira, Sie sind für die Sicherheit im Camp abkommandiert. In den Arbeitsprozeß einzugreifen, haben Sie kein Recht. Wer hier arbeitet oder nicht, bestimme ich.« Die beiden Mißhandelten starrten Gebbhardt aus verquollenen Augen an. »Wie heißt ihr?«
»Felipe.«
»José.«
»Ihr habt eine Woche Ruhe bei vollem Lohn. Legt euch in euer Zelt.«
»Danke, patrão !« Sie senkten die Köpfe, und wären die anderen nicht dabeigewesen, hätten sie Gebbhardt die Hände geküßt. Dann taumelten sie hinaus und verschwanden in der Nacht.
»Jetzt sind Sie aber stolz, was?« sagte Bandeira ruhig. »Das sind Mörder, Senhor!«
»Sie sind noch nicht überführt.« Gebbhardt sah Norina an.
»Kommst du mit?«
»Nein.« Ihre schwarzen Augen sprühten Blitze. Santaluz lächelte.
»Ich bin für Gerechtigkeit«, erklärte Gebbhardt. »Ich helfe mit, menschenwürdige Zustände zu schaffen. Und ich bin nicht blind. Ich weiß, daß wir hier die ärmsten Kerle zur schwersten aller Arbeiten einsetzen. Ich bejahe den Sozialismus. Wir müssen aus dieser modernen Sklaverei herauskommen. Aber ich verabscheue Gewalt und Terror, Chaos und Blutvergießen.«
»Das klingt großartig.« Bandeira gab einem der Schemel einen Tritt. Er flog bis in die hinterste Zeltecke. »Dann versuchen Sie es doch mal anders. Fahren Sie nach Brasilia und lecken Sie Hermano Bolo die Fußsohlen oder den Arsch. Er wird Ihnen sagen, wo er's am liebsten hat.«
Die schöne, von der Liebe verzauberte Nacht war vorbei. Gebbhardt ging wütend zurück in seinen Bauwagen, warf sich auf das Feldbett und starrte zur Decke. Sein innerer Zwiespalt war nun vollkommen.
Keine Gewalt, dachte er. Das sagt sich so leicht daher, wenn man jederzeit dieses Land wieder verlassen und dahin zurückkehren kann, wo Milch und Honig fließen. Wie sollen diese rechtlosen Menschen Recht bekommen, ohne sich auf ihre schlafende Kraft zu besinnen? Reden? Aufrufe? Klagen? Darüber lacht man in den Schaltstellen der Macht. Gibt es wirklich nur den einen Weg der Revolution? Verändert man den Menschen wirklich nur mit Blut?
Mein Gott, was
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