Straße in die Hölle
formierten sich wie zu einem Vorbeimarsch. Vor den Campzelten standen die Leute der Freischicht herum und blickten feindselig auf den Besuch.
»Wo ist Hauptmann Bandeira?« fragte Areras, nachdem er Gebbhardt kurz begrüßt hatte. Der elegante Mann lächelte ihn höflich an. »Ich habe einen Bericht erhalten. Zwei Morde im Lager! Und Ihre Meldung, Senhor Carlos … wegen des umgekippten Bootes. Was ist denn hier los?«
»Hauptmann Bandeira ist drüben am anderen Ufer«, sagte Gebbhardt. Er hatte ein unangenehmes Gefühl im Magen, wenn er den lächelnden Mann mit dem Bärtchen ansah. »Die Leute sind unruhig.«
»Deshalb habe ich Ihnen Senhor Abraham Piraporte mitgebracht.« Areras zeigte auf Gebbhardt. »Das ist Senhor Carlos.«
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Senhor.« Piraporte streckte Gebbhardt die Hand hin. Es war eine gepflegte, manikürte Hand, doch der Händedruck war wie eine Stahlklammer. »Wir werden uns bestimmt gut vertragen.«
»Sicherlich. Warum auch nicht?« erwiderte Gebbhardt.
»Nehmen Sie Senhor Piraporte bei sich auf?« fragte Areras. »Er wird Sie unterstützen. Es gibt Dinge, die nur Brasilianer erledigen können. Sie werden sich ganz dem Bau widmen können, Senhor Carlos. Die internen Probleme löst unser Freund Abraham.«
Am Abend, nach dem Essen, trafen sich Gebbhardt und Norina in der Bretterbude, in der Gebbhardt die Stundenzettel abzeichnete, die ihm die Vorarbeiter brachten. Ehe sie kam, dachte er darüber nach, wie ihre Liebe nun weitergehen sollte. Abraham Piraporte hatte in der engen Baubude ein zweites Feldbett aufgeschlagen. Gebbhardt war nicht mehr allein.
»Ich denke gerade an dich«, sagte Gebbhardt, als Norina kam. Sie setzte sich auf die Tischkante und küßte ihn auf die Augen. Diesmal trug sie einen weißen Arztkittel. Dr. Santaluz hatte mit einer Reihenuntersuchung begonnen. Für die meisten Arbeiter war es das erstemal in ihrem Leben, daß sich ein Arzt dafür interessierte, wie es in ihren Körpern aussah.
»Ich habe einen Schlafgenossen bekommen«, fuhr er fort.
»Ich weiß.« Norina strich ihm mit sanften Fingern übers Gesicht. »Abraham Piraporte. Er ist Hauptmann des Geheimdienstes.«
Sie sagte es so leicht daher, aber ihre Worte ließen Gebbhardt erschrecken. Bandeira hatte recht behalten: Jetzt mußte er sich entscheiden.
Piraporte erwartete Gebbhardt nicht wie einen Schlafgenossen, sondern wie ein seltenes Tier. Er hockte auf der Kante seines Feldbettes, rauchte eine süßlich riechende Zigarette, hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah so elegant aus in seinem weißen Tropenanzug, als wäre er soeben in einer Wochenschau aufgetreten. In einem Sumpfloch mitten im Urwald, das bereit war, zweitausend Arbeitssklaven zu verschlingen, schien er fehl am Platze.
Aber Piraporte war anderer Ansicht. Für ihn war dieses Camp der zweitausend verlorenen Seelen genau das Richtige. Er verzog den Mund zu einem Lächeln, bei dem sich das schmale Bärtchen auf der Oberlippe verschob.
»Eine schöne Frau, diese Norina Samasina, nicht wahr?« sagte er betont langsam, damit Gebbhardt auch jedes portugiesische Wort verstand.
»Gewiß«, sagte Gebbhardt steif.
Er setzte sich auf den rohgezimmerten Stuhl hinter seinen Schreibtisch und bereitete sich auf eine unangenehme Nacht vor. Es hätte eine Nacht mit Norina werden sollen, die zweite heiße, alle dunklen Gedanken verdrängende Nacht des Rausches. Er wußte, daß jede weitere Umarmung ihn immer untrennbarer an sie ketten würde, bis ihr Leben voll und ganz sein Leben war. Schon jetzt spürte er, wenn er an sie dachte, daß sie in ihm lebte und sein Tun beherrschte.
Piraporte war ihm vom ersten Blick an unsympathisch. Jetzt, da er wußte, daß er zum brasilianischen Geheimdienst gehörte, verstärkte sich die Abneigung gegen ihn noch.
»Sie ist eine sehr schöne Frau.« Gebbhardt wühlte in dem Papierhaufen, der den Tisch bedeckte. Planzeichnungen, Detailskizzen, Berichte, Meldungen, Berechnungen … auch der Bau einer Urwaldstraße ist gepflastert mit Papier. »Was führt Sie zu uns, Senhor Piraporte?«
»Die Neugier.«
»Hier gibt es nichts Sensationelles zu sehen außer Riesenbäumen, urzeitlichen Farnen, Sümpfen, verseuchten Flußläufen, Mückenschwärmen, Ameisenheeren – Lianendickicht, Dreck, und dazu noch zweitausend moderne Sklaven und Tote am Wegrand.«
»Genau das will ich sehen. Ihre Sklaven … und über die letzten Toten möchte ich mich mit Ihnen unterhalten.«
»Es steht alles in
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