Straße in die Hölle
Carlos? Warum schlafen Sie nicht?«
»Das hat besondere Gründe.«
»Ich habe auch besondere Gründe. Es ist eine merkwürdige Stimmung unter den Männern, seit Piraporte im Camp ist. Ich muß bei ihnen bleiben, sonst diskutieren sie mehr als sie arbeiten.«
»Was sagen die Männer?« fragte Gebbhardt.
»Piraporte sei ein Spitzel der Regierung.«
»So ähnlich ist es auch. Er ist vom Geheimdienst.«
»Also stimmt es.«
»Was?«
»Felipe und José sind von der ›Todesschwadron‹ getötet worden.«
»Wer ist denn das nun wieder?«
»Das werde ich Ihnen erklären, Senhor Carlos. Nach der Schicht. Es sieht böse aus vorn an der Spitze. Jeder mißtraut jetzt jedem. Der beste Freund kann ein Verräter sein. Für ein paar Cruzeiros verkauft man seine eigene Mutter.« Paulo Alegre kletterte von seinem Sitz. Über die Notbrücke rollten die Lastwagen mit dem Material. Zwei Raupenschlepper fuhren vorsichtig über die schwankenden Bretter, und die Pontons sanken tief in den teuflischen Fluß. Wo die starken Scheinwerfer den Wald, die Ufer und die Schneise erleuchteten, schwirrten dicke Wolken von Mücken und fast handtellergroße, weißliche und bunte Motten umher. Am anderen Ufer lärmten die Motorsägen. Die Baumriesen stürzten in den verfilzten Wald und die Entlaubungsmaschinen ratterten.
Mit dem Schweiß, den diese verdammte Straße forderte, konnte man ein Meer füllen.
»Ich werde vier Tage und vier Nächte arbeiten, Senhor Carlos«, sagte Alegre ruhig. »Kann ich dann zwei Tage Urlaub haben?«
»Natürlich. Aber wo willst du hin?«
»Zum Zentral-Camp. Ich will Alja in der Kantine besuchen.«
»Du willst Areras an den Kragen, nicht wahr?«
»Nicht unbedingt, Senhor. Ich will meine Braut nur sehen. Ist das so ungewöhnlich für einen Bräutigam?«
»Du hast schon einmal einen Mann wegen einer Frau umgebracht, Paulo.« Gebbhardt lehnte sich an den hohen Raupenschlepper. Von den Ketten strömte ihm der Geruch des Urwaldbodens entgegen, ein fauliger Geruch – Verwesung, überall Verwesung, und doch immer wieder neues Leben. Herrliches Leben, wie die farbenstrotzenden Orchideenblüten, wachsend auf den Leichen der anderen Pflanzen. »Schick Alja nach Ceres zurück, das ist vernünftiger.«
»Wir müssen Geld verdienen, Senhor. Wir wollen ein Stück Land kaufen, zum Bebauen, damit wir als freie Menschen leben können.«
»Ich weiß. Aber wenn du Areras etwas antust, wirst du nie wieder ein freier Mensch sein, Paulo.«
»Ich schwöre Ihnen, Senhor, daß ich diesen Hurenbock nicht anfasse. Glauben Sie mir?« Alegre blickte zum Fluß hinüber. Auf einem Lastwagen, der von der Spitze zurückkam, hockten drei Männer mit blutigen, verschmierten Köpfen. Man hatte ihnen Fetzen um die Schädel gebunden. Auf Wundinfektion konnte man hier keine Rücksicht nehmen.
»Der dritte Unfall in dieser Nacht«, sagte Alegre. »Die Kerle sind heute so dämlich wie die Schafe vorm Schlachten. – Was wollen Sie mit Abraham Piraporte machen?«
»Jeder fragt mich danach. Was soll ich denn tun? Er schläft bei mir. Paulo, verlange nicht, daß ich ihm eine Giftschlange unter die Decke schmuggle. Wir müssen irgendwie mit ihm auskommen.«
»Sie vielleicht – wir nicht.«
Er sagte es ganz ruhig, aber Gebbhardt hörte die Drohung heraus, die in diesen Worten lag.
»Ihr könnt gar nichts tun«, sagte er eindringlich. »In Ceres wartet ein Bataillon Fallschirmjäger auf den Befehl, euch zusammenzuschlagen.«
»Ein Bataillon? Puh!« Alegre lächelte breit und gefährlich. »Wir sind zweitausend Männer, die nichts mehr zu verlieren haben.«
»Jeder hat etwas zu verlieren. Du zum Beispiel Alja.«
»Sie wird für alles Verständnis haben, Senhor Carlos. Was wollen die Soldaten? Die Straße weiterbauen? Nein, dazu braucht man uns. Und die Straße ist das Wichtigste. Soldaten nützen gar nichts. Wir haben keine Angst.«
Er blickte Gebbhardt eine Weile stumm an. In diesem Blick lag das ganze Elend der Rechtlosen, der Ausgebeuteten. Dann wandte er sich ab, kletterte wieder auf seinen harten Sitz, schob das zerschlissene Kissen unters Gesäß und fuhr weiter – zurück zum Materiallager, um neue Bretter zu holen.
Zwanzig Stunden schuften. Zwanzig Stunden in der Hölle des Urwaldes. Am Tag in glühender, feuchter Hitze, in der Nacht in fauliger Moderluft, zerstochen von Mückenwolken … und das vier Tage und vier Nächte lang, nur, um Alja zu sehen. Das kleine zarte Indiomädchen, dem Areras in die Hinterbacken kniff, die spitzen
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