Straße in die Hölle
den Berichten, Senhor.«
»Die Amtssprache ist eine verstaubte Sprache.« Piraporte beugte sich vor und hielt ihm ein goldenes Etui mit Zigaretten hin. Gebbhardt schüttelte den Kopf. »Das ist der Bericht von Areras«, fuhr Piraporte fort. »Darin steht, daß es ein Unglücksfall war. Und da haben wir den Bericht von Hauptmann Bandeira. Er behauptet, es habe sich um einen Mordversuch gehandelt. Und da sind die Latrinenparolen der Arbeiter selbst, die von einer politischen Strafaktion sprechen. Was ist die Wahrheit?«
»Ich nehme an, Sie sind hier, um das herauszufinden.«
»Allerdings. Und ich möchte, daß Sie mir dabei helfen.«
»Soweit es mir möglich ist, gern.« Gebbhardt stützte sich auf die Stuhllehne. Er dachte an Norina. Sie lag jetzt sicher im Ärztezelt neben dem fahrbaren Lazarett und starrte zur Decke. Ob sie die gleiche Sehnsucht nach ihm empfand, wie er nach ihr? Ob auch sie diesen geschniegelten Piraporte verfluchte, der vielleicht wochenlang diesen Raum blockierte, den einzigen Fleck in diesem riesigen Wald, wo man, allein und sicher, für ein paar Stunden die mörderische Welt vergessen konnte?
»Wie lange wollen Sie bleiben?« fragte Gebbhardt.
»So lange, bis mein Auftrag erfüllt ist«, erwiderte Piraporte ruhig.
»Und wie lautet Ihr Auftrag?«
»Für Ruhe unter den Arbeitern zu sorgen, Aufwiegler festzustellen und Revolutionstendenzen zu bekämpfen. Mit anderen Worten, für Ordnung im Staate zu sorgen.«
»Sie vertreten also die Staatsautorität?«
»Was haben Sie sonst erwartet? Halten Sie mich etwa für einen sozialen Spinner wie diesen Santaluz?«
»Dr. Santaluz ist seit Monaten der einzige Mann, der sich um die Gesundheit der Leute und um Hygiene kümmert. Bisher haben sie gelebt wie die Schweine und gearbeitet wie die Ochsen.«
»Sie haben nie etwas anderes getan«, erklärte Piraporte. »Vergessen Sie nicht, Senhor Carlos, daß diese Arbeiter nicht die Kloake, sondern den abgeschöpften Schaum der Kloake darstellen. Dreckiger geht's nicht mehr.«
»Aber es sind doch Menschen!«
»Im biologischen Sinne schon. Biologisch betrachtet ist auch ein Scheißhaufen eine Ansammlung von Lebewesen. Sehen Sie sich mal so etwas unterm Mikroskop an. Da wimmelt es nur so von Lebewesen.«
»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Gebbhardt unfreundlich. »Die Arbeiter sind unzufrieden, sie stellen endlich Forderungen, und zwar berechtigte Forderungen. Sie sind unterbezahlt, rechtlos, ausgelaugt von den Stunden, da sie den Urwald roden und gegen diese ungeheure Grüne Hölle ankämpfen. Die Cruzeiros, die sie verdienen, holt man ihnen in der Kantine und in den Läden durch überteuerte Waren wieder aus der Tasche, und sie haben keine andere Wahl, als dort zu kaufen, denn der nächste Laden mit vernünftigen Preisen ist in Ceres. Selbst die Huren im Hauptlager-Bordell haben hundert Prozent aufgeschlagen.«
»Sie konnten Vergleiche ziehen?« sagte Piraporte spöttisch.
»Es haben sich Hunderte von Arbeitern bei mir beschwert.« Gebbhardt holte aus der Schublade seine eigenen Zigaretten und steckte sich demonstrativ eine an. Ich brauche deine süßen Stengel nicht, hieß das. Ich brauche überhaupt nichts von dir. Ich gehöre zu diesen zweitausend Entrechteten. Ich bin wie sie Abschaum der Kloake. »Und was man den armen Schweinen hier aus der Tasche zieht«, fuhr er fort, »fließt in eine einzige Hand. Die Kantine, die Läden, die Huren … alles gehört einem einzigen Mann: Senhor Bolo! Ihn kostet die Straße einen Bruchteil des Geldes, das er dafür vom Staat bekommt, denn der Lohn fließt ja zu ihm zurück.«
»Ein genialer Geschäftsmann. Sie sollten ihn loben und nicht beschimpfen, Senhor Carlos.« Piraporte legte sich aufs Bett und verschränkte die Arme unterm Nacken. »Erfolg erzeugt Feindschaft, das war schon immer so. Aber ich sehe mit Erschrecken, daß man Sie bereits mit dem Bazillus des rebellischen Sozialismus geimpft hat. Das Werk der schönen Norina? Politischer Unterricht in horizontaler Lage?«
»Wenn Sie bei mir wohnen wollen, Piraporte, dann sollten Sie solche Bemerkungen unterlassen«, sagte Gebbhardt heftig. »Man hat mich gebeten, Sie aufzunehmen, aber man hat es mir nicht befohlen.«
»Betrachten Sie es als Naturereignis.« Piraporte drückte seine Zigarette am Absatz seines Schuhes aus, indem er das Bein hochstreckte. »Bei Ihnen ist anscheinend ein Umschlagplatz aller heimlichen Gedanken. Ich sage das ganz offen, entgegen aller Gepflogenheiten des Geheimdienstes.
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