Straße in die Hölle
Bruderkrieg wieder grell erleuchtet werden und seine wirkliche Fratze zeigen?
Die Besprechung zwischen den Offizieren und dem Vertreter der Regierung fand in einer Stabsbaracke statt, einem Holzhaus auf festem Sockel, das man schnell am Rande von Ceres errichtet hatte, als die neuen Truppen hierher verlegt wurden. An der Stirnwand des großen Zimmers hing nur eine Karte vom Gebiet zwischen Ceres und dem Rio Araguaia. Rot und dick, wie eine Aorta, war die neue Straße darauf eingezeichnet. Kreise bedeuteten Lager, ein fetter großer Punkt stand für das Zentrallager.
»Es steht außer Zweifel, meine Herren«, sagte der Oberst im Generalstab zu den Versammelten, während er mit einem Zeigestock die Straße entlangfuhr, »daß der Mord an Luis Jesus Areras ein politischer Mord war. Die Meldungen, die uns von Hauptmann Piraporte vorliegen, sind eindeutig und lassen keine Alternativen zu. Die an diesem Straßenbau insgesamt eingesetzten viertausend Arbeiter bilden eine Art Privatarmee der Rebellen. Eine Eliteeinheit stellen die beiden Bauspitzen dar – die Fällerkolonne und die Räumkolonne. Ihre Leitung liegt in den Händen von Carlos Gebbhardt, einem Deutschen.«
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, sagte der Bataillonskommandeur der Fallschirmjäger trocken. »Ein Deutscher. Die sind immer dabei.«
»Ich muß Sie berichtigen.« Der Oberst im Generalstab lächelte, als wolle er um Verzeihung bitten. »Senhor Gebbhardt ist technischer Leiter. Er hat mit den Vorfällen nur mittelbar zu tun.«
»Aber er ist doch nicht blind. Liegen von ihm Berichte vor?«
»Beschwerden genug.« Der Regierungsvertreter lächelte maliziös. »Er ist ein sehr schreibfreudiger Mann.«
»Beschwerden!« Der Bataillonskommandeur lehnte sich zurück. »Keine Hinweise? Rechnen wir ihn also zu den Sympathisanten der Rebellen.«
»Beißen wir uns nicht an diesem harmlosen Deutschen fest.« Der Oberst fuhr wieder mit dem Zeigestock über die Karte. »Es geht einzig darum, durch eine Blitzaktion jeden offenen Widerstand im Keim zu ersticken. Eine Aktion, die kein Aufsehen erregen darf, gewissermaßen unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Sie wissen, daß es schon Protestmärsche gegeben hat, Plakate, Transparente, Sprechchöre. Damals ist es Areras gelungen, Schlimmeres abzubiegen. Wir haben ein fahrbares Lazarett hingeschafft, wir haben«, der Oberst grinste breit, »den Puff um sieben Mädchen verstärkt, es gibt eine bessere Versorgung der Kolonnen. Nur …« Er machte eine lange Pause und klopfte mit dem Zeigestock gegen die Karte. Es klang wie das tack-tack-tack eines Maschinengewehrs. »Diese Maßnahmen waren lediglich eine Beruhigung. Den Kern trafen sie nicht. Das soll jetzt anders werden. Die Befehle lauten: Besetzung aller Schlüsselpositionen durch Militär. Übernahme der Befehlsgewalt durch ein Offiziersgremium. Fortsetzung der Bauarbeiten unter militärischer Bewachung. Verhaftung aller Rädelsführer. Eine Liste der Namen wird Ihnen gleich überreicht. Bestrafung durch ein Militärgericht an Ort und Stelle.«
Die versammelten Offiziere sahen sich an. An Ort und Stelle – jeder wußte, was das hieß, ›an Ort und Stelle‹. Das hieß: Standgericht.
»Ablösung von Dr. Santaluz«, fuhr der Oberst fort.
Das war eine echte Überraschung. Der Bataillonskommandeur, der Santaluz noch zuletzt zu einem Umtrunk eingeladen hatte, beugte sich über den langen Tisch.
»Irrt man sich da nicht in Brasilia?«
»Dr. Santaluz hat die Hälfte der Arbeiter krank geschrieben.«
Der Regierungsvertreter legte ein dünnes Aktenstück auf den Tisch. »Ein raffinierter Trick, zugegeben. Unter dem Motto ärztlicher Verantwortlichkeit erreicht er eine Lähmung des ganzen Straßenbaus. Hauptmann Piraporte vermutet übrigens in Dr. Santaluz einen Hauptträger der Unruhe.«
»Auch Piraporte kann einen Sonnenstich haben. Ein Arzt wie Dr. Santaluz …«
»War Che Guevara nicht auch Arzt!«
Der Bataillonskommandeur schwieg. Es gibt Argumente, auf die es keine Antwort mehr gibt.
»Wann?« fragte er knapp.
Der Oberst sah auf die Uhr. »Heute nacht um drei werden alle Positionen besetzt. Sie werden auf keinen Widerstand stoßen, Major. Die Arbeiter haben keine Waffen bis auf die als Schutztruppe eingesetzten Einheiten, die Überfälle von Tieren und Indianern verhüten sollen. Sie können mit lauten Protesten rechnen, aber nicht mit Waffengebrauch. Haben Sie noch Fragen, meine Herren?«
Eine Stunde später ertönte bei den Fallschirmjägern in Ceres
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