Straße in die Hölle
saßen in Gummistiefeln auf zusammengezimmerten Hockern und hatten Kopfhörer angelegt. Sie grinsten Gebbhardt an, dann wandten sie sich wieder ihren Geräten zu.
»Warum zeigst du mir das?« fragte er resignierend. Es war eine Frage, die schon die Antwort enthielt. »Ihr seid doch alle Phantasten, Norina. Ihr spuckt, und sie haben Kanonen.«
»Du ahnungsloser Engel, du.« Sie zog seinen Kopf an sich und küßte ihn auf die Augen. Die beiden Männer an den Funkgeräten kümmerten sie nicht. »Wir sollten uns lieben, solange es möglich ist. Ich bin dankbar für jede Stunde, die ich mit dir zusammen sein kann. Wenn es Morgen wird, wünsche ich mir die Nacht herbei.«
Es gab keine Nacht mehr für sie.
Sie waren kaum wieder aus dem Erdloch gestiegen und saßen im Arztzelt, um Tee zu trinken, da klingelte das Telefon. Santaluz nahm den Hörer ab. Im gleichen Augenblick kam Bandeira hereingestürzt, sein kleines Funkgerät in der Hand.
»Stefano!« brüllte er in höchster Erregung.
»Ich höre es gerade aus dem Funkraum.« Santaluz legte auf. »Sie haben die Losung ausgegeben: Carlos geht am Ufer spazieren.«
»Ich habe es im Klartext!« schrie Bandeira. »Direkt aus Ceres. Vom Kasernentor. Dort steht einer meiner Polizisten und regelt den Verkehr. Die Fallschirmjäger rücken aus! Kriegsmäßig!«
Gebbhardt durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. »Was bedeutet das?« fragte er.
»Daß es zu spät ist, um nach Frankfurt zu fliegen, mein Liebling.« Norina küßte seine Stirn. Er spürte, daß ihre Lippen plötzlich ganz kalt waren. »Sie können doch nicht einfach …«, sagte er fassungslos. »Wir haben doch keinen Krieg. Fallschirmjäger gegen Waldarbeiter … Sie können doch nicht einfach … gegen waffenlose Menschen …«
»Ich würde Ihnen vorschlagen, Carlos«, sagte Santaluz mit ruhiger Stimme, in der aber eine Art Befehlston mitschwang, »daß Sie im Lazarettzelt bleiben. Es wird hier bald keinen sicheren Platz mehr geben. Das Rote Kreuz auf der Leinwand ist wenigstens eine seelische Beruhigung, wenn man daran glaubt. Bandeira, lassen Sie Alarm geben. Bei allen Kolonnen! Die Spitze sofort zurück!«
»Die sucht Piraporte.«
»Der wird im richtigen Augenblick schon auftauchen.« Santaluz nahm Norinas Teetasse und trank sie leer. »Also los!« sagte er dann. »Ein Bataillon Fallschirmjäger ist von vornherein ein Fehler. Man unterschätzt uns.«
Draußen heulten die Sirenen auf. Katastrophen-Alarm. Was in monatlichen Übungen immer wieder durchgespielt worden war, trug jetzt Früchte. Von allen Seiten rannten die Arbeiter zum großen Zentralplatz. Im Fuhrpark wurden sämtliche Fahrzeuge angelassen, vom kleinen Jeep bis zum urweltlich wirkenden, riesigen Supertraktor und den wie Panzer auf Ketten laufenden Räumern.
Die Sanitäter öffneten die Lazarett-Lastwagen. Aus dem Sanitätszelten trug man Kisten und Kartons heraus. Holz splitterte, die Kistendeckel flogen auf. Von den Lastwagen rutschten die Kisten auf die Erde.
Röntgenersatzteile. Labor. Verbandzeug. Bestrahlung II und III. Achtung! Gift! Medikamente.
Kiste um Kiste.
Aber als die Deckel aufgebrochen waren, kam etwas anderes zum Vorschein. Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Magazine, Revolver, vier schwere Maschinengewehre, drei leichte – sechs Granatwerfer, röhrenartige Aufsätze für Gewehrgranaten, flache Kästen mit Handgranaten, Sprengsätze.
Und wieder standen sie Schlange, Mann hinter Mann, nur hielten sie jetzt nicht ihre Blechschüssel hin, um eine Kelle Suppe zu empfangen. Sie hielten die Hände hin und bekamen ihre Waffen. In der Vorarbeiterbaracke wurden bereits die als Menschenschinder verschrienen Vorgesetzten festgehalten. Mit hinter dem Kopf gefalteten Händen trieb man sie über den Platz zu einem geschlossenen Lastwagen.
Und Paulo Alegre war wieder da. Gebbhardt hörte sein dröhnendes Organ aus dem Lärm der Menge heraus. Er gab Befehle und stellte seine Kampfeinheit zusammen. Dann überdeckte ein Höllenkrach alles andere. Die schweren Räumer und Trecker, die Bagger und Kräne rasselten heran.
Was war dagegen ein Bataillon Fallschirmjäger?
»Jetzt erwacht Brasilien!« rief Norina Gebbhardt zu. Ihre Augen glänzten in höchstem Triumph. »Begreifst du's jetzt, mein Liebling?«
Gebbhardt nickte. »Ich begreife«, sagte er leise, »daß Verzweiflung und Fanatismus blinde Zwillinge sind.«
Der Lärm der aufmarschierenden Maschinen zermalmte seine Worte, ehe sie Norina erreichten.
Das Leben schenkte ihnen
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