Straße in die Hölle
von einer besseren Zukunft träumten und in der Gegenwart mit Gewehren in Schach gehalten wurden. Eine moderne Form der Sklaverei. Bandeira hatte recht.
»Haben Sie noch Fragen, Senhor Carlos?« wollte Piraporte wissen.
»Nein. Ich möchte nur über das weitere Schicksal der beiden Verhafteten unterrichtet werden.«
»Ich notiere es mir.«
Mit dem Ausdruck des Widerwillens drehte sich Gebbhardt um und ging zu seinem Wagen.
Am Ende der Schicht waren Piraporte und die beiden Verhafteten verschwunden. Gebbhardt berichtete Bandeira davon, und dieser zeigte deutliche Unruhe.
»Er hat gar keine Befugnisse, jemanden zu verhaften«, erklärte er. »Piraporte hat nur einen Beobachterposten. Davon sind wir informiert worden. Der Teufel soll den gelackten Affen holen!«
Eine Stunde später kam der Dienstwagen zurück, den Bandeira mit drei Polizisten nach vorn geschickt hatte. Er fuhr zum Lazarettzelt. Dr. Santaluz warf einen Blick in den Wagen und ging ins Zelt zurück. Dafür stürzte Bandeira heraus, riß die Hecktür des Kombiwagens auf und begann zu brüllen. Die Schicht, die gerade gegessen hatte und nun, satt von der dicken Suppe, ihre Zigaretten rauchte, lief zu ihm.
»Piraporte muß her!« schrie Bandeira. »Wer hat Piraporte gesehen? Ich setze dreitausend Cruzeiros aus für seinen Kopf!«
Zwei Polizeijeeps rasten zum Fluß, überquerten die schwankende Pontonbrücke und mahlten sich durch den weichen Urwaldboden nach vorn zur Fällerkolonne. Die Erde spritzte unter ihren Reifen weg, als tanzten sie auf Granateinschlägen vorwärts.
Gebbhardt ging hinüber zu Norina. Er hatte sie seit dem frühen Morgen noch nicht wiedergesehen. In der Hoffnung, sie würde zu ihm kommen und ihn fragen, was geschehen sei, war er ihr aus dem Weg gegangen. Doch er wartete vergebens. Sie kam nicht. Jetzt sah er sie, wie sie neben Dr. Santaluz und dem tobenden Bandeira stand.
Vier Arbeiter holten aus dem Kombiwagen zwei Leichen heraus und trugen sie ins Behandlungszelt. Sie waren nur noch ein Zerrbild der beiden Männer, die einmal in Gebbhardts Kolonne an den Motorsägen gestanden hatten. Ihre Köpfe waren zerplatzt, aber nicht von der Sonne, sondern von Genickschüssen, bei denen man den Lauf schräg nach oben gehalten hatte. Die Schüsse hatten beide Hinterköpfe wegrasiert.
Mit zusammengepreßten Zähnen sah Gebbhardt auf die beiden Toten. Sie trugen noch ihre Handschellen. Im Tod noch waren sie aneinandergefesselt – ein Symbol ihrer Situation und der ihrer Kameraden.
»Wir sind dabei, eine glatte Rechnung zu machen«, sagte Dr. Santaluz mit eisiger Ruhe. »Du hast zwei Tote von uns, also schick ich dir zwei Tote von euch. Nur ein Aktivposten bleibt noch offen: Wer kommt für Areras dran?«
»Wir fahren noch heute zurück nach Ceres«, sagte Gebbhardt und ergriff Norinas Hand. »In einer Stunde. Morgen sind wir in Brasilia, übermorgen in Rio …«
»Einen Tag später in Frankfurt …«
»So ist es.«
»So ist es nicht!« Sie befreite sich von seinem Griff. Ihre schwarzen Augen blitzten. »Wir können nicht mehr weg. Selbst du allein könntest es nicht mehr.«
»Ich bin ein freier Mann, verdammt noch mal.«
»Ich zeige dir, wie frei du bist.«
Sie zog ihn ins Zelt, vorbei an Dr. Santaluz, der sie kritisch ansah. Sie nickte nur, zerrte an Gebbhardts Hand und führte ihn durch den abgeteilten Raum, in dem Piraporte geschlafen hatte. Durch eine Öffnung in der Zeltwand hinter einem eisernen Schrank, der Antibiotika enthielt und dessen Kühlaggregat leise summte, kamen sie in eine Art Abstellager, wo Kisten und Säcke, Kartons und Container standen. Hier blieb Norina stehen.
»Soll ich aufräumen?« fragte Gebbhardt spöttisch.
»Einen Augenblick.« Norina zog ein paar leere Kisten zur Seite. Eine Falltür kam zum Vorschein, sie klappte sie hoch, und dabei hörte Gebbhardt auch schon Ticken, Summen und lautes Pfeifen aus dem Erdloch dringen.
»Eine Funkstelle …«, sagte er. »Ihr habt verdammt schnell und heimlich gearbeitet.«
»Darin sind wir ausgebildet worden. Die Antennen stehen oben in den Bäumen. Wir sind mit allen Gruppen in Brasilien verbunden. Wir hören auch den Funkverkehr der Armee ab.«
Sie zeigte in das Loch. Gebbhardt sah eine einfache Holzleiter und tastete sich in die Tiefe. Der Raum war winzig. Er bot höchstens vier Personen Platz. Es tropfte von den Wänden, die mit Kistenbrettern verschalt waren, und man stand knöcheltief im Wasser. Rundherum befanden sich die Funkgeräte. Zwei Sanitäter
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