Straße in die Hölle
Menschlichkeit ist nur ein Wort für einen Clown. Er hat damit den größten Lacherfolg.«
Jenseits des Flusses hatten sich die Fallschirmjäger inzwischen festgesetzt. Aber sie kamen nicht herüber, denn die Pontonbrücke war rechtzeitig gesprengt worden. An beiden Flanken lagen sich die Arbeiter und Soldaten im Urwald gegenüber. Es war ein Kampf Mann gegen Mann, gnadenlos, bestialisch, einsam. Hier war jede Bewegung, jeder Laut, jedes Rascheln oder Zweigeknacken ein Feind und damit der sichere Tod. Aber hier, bei den Einzelkämpfern, würde die Entscheidung fallen, das wußte Santaluz. Erreichten die Soldaten die Schneise und das Lager, war es wie ein Würgegriff, gegen den es keinen Widerstand mehr gab.
»Zwei Gruppen sind durchgekommen«, sagte Dr. Santaluz am Abend des fünften Tages. »Sie haben einen Funkspruch aufgegeben, und wir haben ihn empfangen. Sie sind in Ceres. Die Erregung in der Stadt ist ungeheuer. Trotz völliger Informationssperre sind Berichte von unserem Kampf nach draußen gedrungen. Die Zeitungen der ganzen Welt berichten über uns. Es war also doch nicht ganz umsonst.«
Gebbhardt empfand in diesen Minuten tiefes Mitleid mit Santaluz. Er klammerte sich an Zeitungsartikel, als könnten sie eine Veränderung der Welt bewirken. Er redete sich ein, sein einsamer Kampf werde zu einem Signal, und dabei wußte er doch genau, daß morgen die Sehnenzerrung eines Fußballspielers viel wichtiger sein würde als das Sterben von zweitausend Menschen auf einer unbekannten Urwaldstraße mitten im brasilianischen Dschungel.
»Bekommen Sie Verstärkung von draußen?« fragte Gebbhardt. »Gibt es etwa einen Volksaufstand?«
Dr. Santaluz blickte Gebbhardt aus müden Augen an. »Ich weiß, was Sie jetzt hören wollen. Sie sollen es auch hören: Nein. Es wird nur Einzelaktionen geben. Aber wenn der große Aufstand kommt, werden wir das Vorbild sein.«
»Und dafür lohnt es sich, so qualvoll zu sterben?«
»Ja. Ohne Leitbilder gibt es keine Revolutionen. Gäbe es ein Christentum ohne einen gekreuzigten Jesus? Um welch ein Symbol könnte man sich scharen, wenn es kein Kreuz gegeben hätte?«
»Und Sie wollen Brasiliens Kreuz werden?«
»Wir alle hier.« Dr. Santaluz machte eine weit ausholende Handbewegung. »Und jeder weiß es und hält deshalb aus. Sie werden so ein Glück, dem Vaterland dienen zu können, nie empfinden. Stimmt's, Carlos?«
»Es stimmt, doutôr . Gerade wir Deutschen haben dieses sogenannte Heldentum bis zum Exzeß strapaziert. Daß Brasilien jetzt damit anfängt, macht mich fassungslos.«
Am siebten Tage der Belagerung ging dann alles sehr schnell. Von drei Seiten stürmten die Fallschirmjäger nach einer letzten Kanonade die Barrikaden und das Lager. Aus dem Urwald kamen sie mit Flammenwerfern. Es gab keine Gegenwehr mehr.
Alegre gehörte zu den letzten, die noch schossen. Er lag hinter einem Maschinengewehr und hatte den letzten noch vorhandenen Gurt eingezogen. »Ich brauche Munition!« schrie er. »Dort drüben, neben dem Bulldozer liegen zwei Kästen. Her damit! Los, holt sie her.«
Die Männer in den Trichtern rührten sich nicht. Zwischen ihnen und den Munitionskästen lagen knapp zwanzig Meter. Das waren vierzig Meter hin und zurück, die mitten durch die Hölle führten. Außerdem standen die Kästen nahe am Waldrand, wo, bizarr verkrümmt, schon drei tote Fallschirmjäger lagen.
Plötzlich sprang doch jemand hoch und hetzte wie ein Hase im Zickzack über die Straße … eine kleine, schmale Gestalt in einer viel zu großen Männerhose und einer zerrissenen Jacke. Langes schwarzes Haar wehte beim Lauf um den zwischen die Schultern gezogenen Kopf.
»Alja«, heulte Alegre auf. »Alja! Zurück! Mein Gott! Mein Gott!«
Er schoß an ihr vorbei auf den Waldrand, und auch die anderen Männer gaben ihr Feuerschutz. Plötzlich zischte hinter einem Busch ein Strahl flammenden Öls hervor. Starr, mit aussetzendem Herzen sah Alegre, wie Alja beide Arme hoch warf, als ihr Körper im Feuer verschwand. Die Flammen schienen sie wie Röntgenstrahlen zu durchleuchten, nur ihr Skelett war noch sichtbar, bläulich phosphoreszierend – ein leuchtendes Gerippe. Dann erlosch der Feuerstrahl plötzlich. Von Alja war nicht mehr als ein schwärzlicher Fleck auf der Erde übriggeblieben.
»Mein Gott«, stieß Alegre hervor. Er rutschte hinter seinem MG in den Trichter, lehnte sich an die Wand und faltete die Hände. »Verzeih mir alles, was ich noch tun werde. Es wird nichts sein gegen das, was
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