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Straße in die Hölle

Straße in die Hölle

Titel: Straße in die Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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angenommen, man stellt im Urwald ein Sofa auf? Sie befinden sich in meinem Privatzimmer innerhalb der Kaserne. Das Sofa, auf dem Sie geschlafen haben, ist über hundert Jahre alt und stammt von einer Tante aus Brüssel. Mein Onkel war dort portugiesischer Konsul.«
    »Was geschieht jetzt mit Norina?« Gebbhardt strich mit beiden Händen übers Gesicht. »Ich bin nicht hier, um Ihr Sofa zu bewundern.«
    »Es würde Ihnen besser zu Gesicht stehen, Senhor.« Der Oberst lächelte schief. »Norina Samasina wartet auf ihre Aburteilung.«
    »Sie hat nichts getan. Gar nichts.«
    »So wenig wie Sie auf einen Menschen schießen können?«
    »Ebensowenig!«
    »Das zu entscheiden ist Sache eines Sondergerichts.« Der Oberst hielt Gebbhardt ein Glas hin. Gierig griff er danach und trank es in langen Schlucken aus. Eisgekühlter Fruchtsaft, bittersüß erfrischend.
    »Und Dr. Santaluz?«
    »Auch so harmlos, was?« Der Oberst ging zum Fenster zurück. »Der Prozeß findet übermorgen statt. In Gruppen zu zehn. Wir haben einhundertzweiunddreißig Rebellen gefangen.«
    »Einhundertzweiunddreißig von zweitausend«, sagte Gebbhardt leise.
    »Wir hoffen, bis zum Abend fertig zu sein.« Der Oberst setzte sich wieder in den Korbsessel. »Am längsten dauert die Prozeßeröffnung mit den sieben Hauptangeklagten. Paulo Alegre war Ihr bester Mann, nicht wahr, Senhor?«
    Die Frage kam plötzlich, wie ein Schuß aus dem Hinterhalt. Gebbhardt nickte. Noch ein Glas Saft, dachte er. Ich verbrenne innerlich.
    »Ja. Es gab nichts, was er nicht konnte.«
    »Das stimmt.« Der Oberst lachte trocken. »Das haben wir gemerkt. Er ist der einzige, der entkommen konnte. Wir haben jeden Toten dreimal umgedreht, aber er war nicht darunter. Nun, ein Kerl wie er fällt auf. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
    »Kann ich Norina sehen?« fragte Gebbhardt mit trockener Kehle. »Mit ihr sprechen?«
    »Als Entschädigung für Ihre Mißhandlung … ausnahmsweise.« Der Oberst füllte das Glas. Er reichte es Gebbhardt, der tappend zum Fenster kam, und steckte sich eine Zigarette an. »Aus Rio habe ich gehört, daß im Einvernehmen mit der deutschen Botschaft und Ihrer Firma in Deutschland Ihre Ausreise in der nächsten Woche – am Mittwoch – erfolgen soll. Sie erhalten ein Jahresgehalt als Abfindung.«
    »Irrtum, Oberst.« Gebbhardt lehnte sich an die Wand und umklammerte mit beiden Händen das Glas. »Ich bleibe bei Norina.«
    »Das wird Schwierigkeiten machen, Senhor.« Der Oberst nahm Gebbhardt das Glas ab, wie man einem ungezogenen Kind ein zerbrechliches Spielzeug entwindet. »Die Hinrichtungen sind auf Montag früh sechs Uhr angesetzt.«
    Die kleine Zelle war feucht und muffig, von Schimmelgeruch durchzogen. Sie lag unter der Erde und hatte weder ein Fenster noch eine Entlüftung. Der Boden war aus Lehm, die Wände bestanden aus groben Steinen, und oben an der Decke, ungreifbar hoch, befand sich eine einsame schwache Glühbirne. Die eiserne Tür rostete in dieser Moderluft, und als sie jetzt aufgeschlossen und geöffnet wurde, knirschten die Scharniere mit einem Laut, der bis in die Knochen drang.
    Norina saß auf dem rohgezimmerten Holzbett und blickte auf die zurückschwingende Tür. Sie hatte die Haare zusammengeknotet und wirkte völlig ruhig. Nur ihre Finger, die sich um den Rand des Bettes krallten, verrieten, mit welcher ungeheuren Willenskraft sie ihre Angst verbarg.
    Jetzt kommen sie, dachte sie. Jetzt holen sie mich. Ohne Gerichtsverhandlung, ohne Urteil. Sie scheuen sogar die Worte unserer Verteidigung. Wie werden sie mich umbringen? Erschießen? Hängen sie mich auf? Vergiften sie mich? Wie tötet ein Militärtribunal eine Frau?
    Ein Soldat betrat als erster die Zelle. Er grüßte – das verwunderte Norina – und stellte sich neben der Tür auf. »Sie bekommen Besuch, Senhorita«, sagte er steif. »Eine Viertelstunde.«
    »Ich will niemanden sehen. Ich habe nichts mehr zu sagen.« Norina schüttelte den Kopf. »Laß ihn draußen!«
    Dann schwieg sie plötzlich. Sie verstummte jäh beim Anblick des Mannes, der fast in die Zelle stürzte. Der Soldat trat auf den Flur und schloß die Tür.
    »Norina …«, sagte Gebbhardt tonlos. »Mein Gott, Norina … was haben sie mit dir vor?«
    »Warum bist du gekommen, Carlito?« Sie stand auf. Mit einem Seufzer umarmten sie sich und hielten sich dann umfangen, als sollten sie so miteinander verschmolzen werden. »Die Erinnerung war viel schöner als diese Gegenwart.«
    »Am Sonnabend ist der Prozeß.«

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