Straße in die Hölle
mitten im Urwald passiert. Proteste? Die UNO? Menschenrechtskonferenzen? Das sind doch alles nur Farcen! Uns hilft niemand. Und nun waschen Sie sich die Hände und helfen Sie Norina, die Verwundeten zu versorgen. Herumstehen und glotzen, das hasse ich.«
Sie arbeiteten bis weit nach Mitternacht. Die Straße vor den Barrikaden war durch Scheinwerfer in helles Licht getaucht. Aber die Fallschirmjäger kamen nicht mehr. Nur ein Spähtrupp hatte sich seitlich der Straße in den Wald gesetzt und beobachtete die Sperren. Es war eine ungewohnte, geisterhafte Stille um sie alle. Die Tiere, die sonst mit tausend singenden, flötenden, kreischenden Stimmen die Urwaldnacht belebten, waren geflohen.
»Neunundsiebzig Verwundete und dreiundvierzig Tote«, sagte Dr. Santaluz, als der letzte zerfetzte Leib hinausgetragen wurde. »Ich hatte nach diesem Trommelfeuer mit mehr gerechnet.«
Er setzte sich an den Klapptisch und ließ sich von einem Sanitäter eine Zigarette und ein Glas mit Kognak reichen. Norina lag erschöpft auf dem Bett im Hintergrund des Zeltes, die Feldbluse offen, mit nackter Brust. Im Grab gibt es keine Scham mehr. Dr. Santaluz reichte Gebbhardt seinen Kognak, doch der Deutsche schüttelte nur stumm den Kopf.
»Wenn es Sie beruhigt, Senhor Carlos«, sagte Santaluz, »dann verrate ich Ihnen, daß vier kleine Trupps zu je vier Mann unterwegs sind, um Hilfe von draußen zu holen. Sie schlagen sich seitlich durch den Wald und werden dann mit unseren Freunden im Rücken der Truppen operieren. Die alte Guerillataktik: Auftauchen, zuschlagen, vernichten, verschwinden. Wenn wir uns hier ein paar Tage halten, sieht die Lage ganz anders aus. Bisher wurde nur geredet, jetzt wird gehandelt. Und das allein überzeugt.«
»Wie gläubig Sie das sagen, Doktor.« Gebbhardt nahm nun doch das Glas und trank den Kognak aus. »Sie haben mich einen Träumer genannt. Ich glaube, hier im Zelt gibt es einen noch viel größeren Träumer.«
Gegen vier Uhr morgens bestätigte sich Gebbhardts Verdacht. Zwei der ausgeschickten Trupps kamen zurück. Sie waren mitten im Urwald auf Fallschirmjäger gestoßen und hatten sich kampflos zurückgezogen, um dem Gegner nicht zu zeigen, daß er entdeckt war.
»Sie schlagen sich in großem Bogen um uns herum durch den Wald«, sagte einer der Männer. »Morgen werden sie uns von hinten packen. Dann kommen sie über den Fluß und von den Seiten. Sie kreisen uns ein.«
»Zerstört die Brücke über den Fluß«, befahl Dr. Santaluz ruhig. »Sofort! Den Fluß überwinden sie nie. Zweihundert Mann sollen sich am Ufer eingraben.«
»Sie halten sich keine zwei Tage mehr«, sagte Gebbhardt.
»Jetzt noch länger.« Santaluz lächelte verächtlich. »Vor einem sind wir dann sicher: Sie können keine Bomben mehr werfen, ohne eigene Leute zu treffen. Vor den Bomben hatte ich Angst.«
Gebbhardt starrte ihn ungläubig an. »Mein Gott«, sagte er dann leise. »Sie hypnotisieren sich ja mit Ihren eigenen Worten.«
Santaluz stand auf und reckte sich. »Wohl dem, der das kann«, antwortete er, schob Norina etwas zur Seite und legte sich neben sie aufs Bett. »Keine Angst«, sagte er dabei, »ich tu ihr nichts. Ich will nur ein bißchen schlafen.«
11
Das Sterben dauerte fünf Tage.
Fünf Tage lang hämmerten die Granaten der Panzer auf die Barrikaden und die Arbeiter herunter, pflügten die Sperren um und zerrissen menschliche Leiber. Sie hämmerten Trichter um Trichter in die Urwalderde und vernichteten mit einem Volltreffer die Huren des Zentralbordells, die sich in einen Bunker aus dicken Stämmen verkrochen hatten. Die Granaten zerfetzten im weiten Umkreis alle Bäume und entfachten riesige Feuer, deren Glut über die Arbeiter herfiel und ihnen den Atem nahm.
Fünf Tage lang ununterbrochenes Sterben. Fünf Tage lang brüllende Hölle. Und wenn die Geschütze einmal Atem holen mußten und die heißen Rohre sich abkühlten, krochen die Überlebenden aus den Trümmern der Barrikaden und begannen zu singen.
Daß er noch lebte, daß Norina und Dr. Santaluz in den Feuerpausen noch operierten, begriff Gebbhardt nicht. Irgendein Wunder mußte sie beschirmen. Während um sie herum die Leiber zerrissen wurden, war das einzige Blut, das sie bespritzte, das Blut der anderen. Es war unbegreiflich.
»Jetzt schießen sie mit Napalm«, sagte Dr. Santaluz, als am vierten Tag die Barrikaden und der Wald zu brennen begannen, als habe man sie mit Öl übergossen. »Ich habe Ihnen ja gesagt, es sind Schweine.
Weitere Kostenlose Bücher