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Straße in die Hölle

Straße in die Hölle

Titel: Straße in die Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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reißendes Tier. Er war durch den Urwald geflüchtet, hatte in der Nacht im ehemaligen Hauptlager ein Motorrad gestohlen, erreichte mit ihm Ceres, hielt auf der Straße einen Autofahrer an, zog ihn vom Sitz, erwürgte ihn und fuhr mit dem Wagen weiter nach Brasilia.
    Was er tat, erreichte gar nicht mehr sein Bewußtsein. Wie eine Vision, die vor ihm her schwebte und ihn mitriß, sah er immer nur die Sekunde, in der Aljas Körper im Feuerstrahl des Flammenwerfers zerschmolz und ihr Gerippe bläulich aufleuchtete. Dieses Bild allein blieb vor seinen Augen, und alles, was sich ihm in den Weg stellte, zerstampfte und zerstörte er wie eine unaufhaltsame Maschine, die keiner Schaltung mehr gehorchte.
    So erreichte er Brasilia, und so stand er drei Tage später, ohne sich eine einzige Stunde ausgeruht zu haben, vor dem riesigen, aus Glas, Stahl, Beton und Mahagoniholz gebauten Komplex des Kaufhauses Orgulho de Brasilia und blickte an der hohen Fassade empor.
    Dort oben, in einem Penthouse, wohnt Hermano Santos Bolo, dachte er. Der große Senhor Bolo, dort oben haust er wie ein unangreifbarer Adler. Wissen Sie, Senhor Bolo, daß nichts auf der Welt unangreifbar ist? Nicht für einen Paulo Alegre.
    Er senkte den Kopf und rieb sich mit beiden Händen das breite Gesicht. Aber auch als er die Augen schloß, blieb das Bild vor ihm. Aljas leuchtendes Gerippe im Feuerstrahl des brennenden Öls …
    Er seufzte, ließ die Arme fallen und starrte wieder hinauf zum Dach des Kaufhauses. Vom Sims flatterten fröhlich bunte Fahnen, hinter den blinkenden Fenstern der neun Etagen krabbelten die Menschen wie große Ameisen umher.
    Langsam setzte sich Paulo Alegre in Bewegung. Er durchschnitt den kühlenden Luftvorhang des Einganges, wurde von der Menge der einkaufenden Menschen mitgetrieben, suchte den Fahrstuhl und wartete, bis er herunterkam und die breite Tür sich öffnete.
    »Ganz oben«, sagte Alegre dumpf, als der Fahrstuhlführer ihn hereinließ. Der Uniformierte nickte höflich.
    »Glas, Porzellan, Teppiche, Gardinen, Geschenkartikel …«
    »So ist es.« Alegre lehnte sich an die polierte Fahrstuhlwand. »Ich muß etwas verschenken.«
    Lautlos glitt die Kabine nach oben.

12
    Hermano Santos Bolo sah man an, daß er reich war. Doch man sah ihm nicht an, daß er es verdiente, von Tausenden der von ihm Abhängigen täglich verflucht zu werden. Wie hätte man das auch sehen können? Maßanzüge, tägliche Massagen, kosmetische Gesichtspackungen, erfolgreich eingedrilltes gutes Benehmen machten Senhor Bolo zu einer Zierde der exklusiven brasilianischen Gesellschaft. Er hatte viele Freunde, gleichgesinnt und vom selben Charakter: Großgrundbesitzer mit Ländereien von der Größe der Schweiz, Minister, Militärs, Industrielle, die ihr Geld untereinander kreisen ließen, Bankiers, die ihr Vermögen durch fragwürdige Manipulationen vermehrten, Zeitungsverleger, die keine Zeile in ihren Blättern über die Vernichtung der Indianerstämme erscheinen ließen. Einzig und allein die Kirche war nicht käuflich – in diesem Fall nicht! Sie bildete die einzige Opposition gegen den ›Club der Hundert‹, der Brasilien regierte.
    Man hatte alles versucht, sämtliche Register durchgespielt, vor allem im Falle des streitbaren Bischof Helder Cámara. Von der Drohung bis zum Spott, von der Verleumdung bis zur Lüge war man vor nichts zurückgeschreckt. Aber auch Cámaras Widerstand erreichte nichts. Er pilgerte zwar durch die Welt und hielt in Europa und den USA Vorträge über das Leid der Indios und die Versklavung des Menschen durch das Kapital, aber in Brasilien war man darüber nicht sonderlich beunruhigt. Was Bischof Cámara tat, war doch gut so. Er erzählte dem satten Westen von der Not in einem Land, das von diesem Westen weit entfernt und ihm völlig gleichgültig war. Er war ein Märchenerzähler in der Soutane. Man hörte ihm erschüttert zu – wie einem weisen Narren Shakespeares. Man sammelte für die zur Ausrottung freigegebenen Indios im Urwald, man verlieh dem Pater Orden … aber Brasilien selbst traf das nicht. Bolo sagte es einer europäischen Wirtschaftsdelegation einmal ganz deutlich mit der Nonchalance des Mächtigen:
    »Meine Freunde, was ist wichtiger, was brauchen Sie und Ihre Völker dringender: Kaffee, Edelhölzer, Baumwolle, Zucker und Tabak – oder Indios? Wollen Sie in Brasiliens neue industrielle Entwicklung investieren, die bald die größte in ganz Südamerika ist, oder wollen Sie mit Erzbischof Dom Helder für

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