Straße in die Hölle
die Rote Fahne überm Amazonas beten? Die Entscheidung liegt bei Ihnen, meine Freunde. Brasilien findet überall Partner. Dieses Land erwacht ja erst gerade und öffnet sein Nachthemd wie eine schöne Frau. Was für verborgene Schätze kommen da doch zum Vorschein!«
Dann hatte er gelacht, erstklassigen Wein servieren lassen, und die europäische Delegation schnitt das Thema Armut und Indios, soziale Gerechtigkeit und Unterdrückung der Minderheiten nicht mehr an. Es war eine einfache, aber wirksame Art, Verträge zu machen. Mit hohen Moralbegriffen hatte man noch nie ein Bankkonto aufgefüllt.
An diesem heißen Nachmittag hatte Bolo beschlossen, ans Meer zu fahren und die Arbeitswoche zu beenden. Er wohnte allein im Penthouse, über dem Warenhaus, mehr einer Laune als einer Notwendigkeit gehorchend, denn er besaß mehrere elegante Villen in Parks. Doch vom Penthouse aus konnte er Brasilia überblicken, diese auf dem Architekten-Reißbrett entstandene Stadt mit Bauten, die weit in die Zukunft wiesen. Es waren kühle Gebilde aus Glas und Beton, die zeigten, was man mit Wasser, Sand und Zement alles an Schönheit schaffen konnte. Von hier oben konnte Bolo auch hinübersehen zu dem Hochhaus seines Imperiums, zu dem gläsernen Turm, in dem zweitausend Angestellte die Vielzahl seiner Firmen verwalteten.
Auf Bolos Tisch am großen Panoramafenster standen nur zwei Telefone, ein weißes für den Privatgebrauch und ein grünes, als Schaltzentrale seiner Macht. Mit dem grünen dirigierte er – in wenigen knappen Worten, aber jedes Wort bedeutete Schicksal für diejenigen, die es traf. Es war ein geradezu erotisches Gefühl, den Hörer abzunehmen und etwas zu sagen, was kleine oder große Welten veränderte. Bolo genoß es. Er war fünfundfünfzig Jahre alt, mittelgroß und breitschultrig, dreimal geschieden und zur Zeit nur locker liiert mit einer französischen Gräfin, die in Rio auf ihn wartete. Hermano Santos Bolo … ein Begriff der Macht.
Sein letztes Telefonat hatte sich mit dem Aufstand der Arbeiter an der Straße zum Rio Araguaia beschäftigt. Die Rebellion war niedergeschlagen worden. Wer noch lebte, saß in Ceres und wartete auf seine Verurteilung. Neue Kolonnen wurden zusammengestellt und standen zum Abmarsch an die riesige Baustelle bereit. Vor den Einstellungsbüros standen die Armen Schlange. Eine ganze Woche war allerdings verloren. Bolo verbuchte sie schweren Herzens als Verlust und reduzierte den neuen Stundenlohn um zwei Cruzeiros. Man konnte einen Bolo nicht ins Minus treiben. Mehr verblüfft als ärgerlich blickte Bolo auf, als sich die Tür seines Salons öffnete, ohne daß vorher angeklopft worden war. Und statt des Dieners Juan kam ein riesiger, ziemlich zerlumpter Mensch herein, stieß die Tür wieder zu und stellte sich breitbeinig auf den Isfahan-Teppich.
Bolo zog die Brauen hoch und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Bevor Sie anfangen, sagen Sie mir erst, wie Sie hier hereingekommen sind. Ich werde Juan entlassen«, erklärte Bolo ärgerlich.
Paulo Alegre deutete mit dem Kopf zur Tür. »Hieß der Kerl Juan? Er braucht keine Entlassung mehr. Er braucht einen Sarg.«
In diesem Augenblick ertönte eine dumpfe Explosion. Die großen Scheiben in Bolos Salon zitterten. Ehe Bolo noch reagierte, schrillten im großen Kaufhaus die Alarmsirenen. Bis in Bolos gut isolierte Privaträume hinauf hörte man einen Aufschrei aus Hunderten von Kehlen.
»Feuer«, sagte Alegre dumpf. »Feuer, Senhor Bolo. Das war eine Bombe, mit der ich den Fahrstuhlführer nach unten geschickt habe. Sie muß in der zweiten Etage explodiert sein. Halt! Bleiben Sie stehen!«
Bolo wollte zu seinem Schreibtisch stürzen, aber Alegre verstellte ihm den Weg und schleuderte ihn mit einer Handbewegung zurück. Bolo taumelte gegen die Wand und riß dabei einen Blumentisch um. Er griff sofort nach dem Gestell, zertrat es und hielt gleich darauf einen Knüppel mit einer eisernen Platte in der Hand. Alegre lachte und schüttelte den Kopf. Dieses Lachen war schrecklicher als die Sirenen und das Panikgeschrei der Kaufhausbesucher.
»Sie Verrückter!« keuchte Bolo. »Was wollen Sie? Geld? Auf diese Art? In wenigen Minuten ist die Polizei da.«
»Sie wird nicht durchkommen.« Alegre tappte wie ein Riesenbär auf Bolo zu. Dieser hob den angebrochenen Fuß der Blumenbank und duckte sich. »Ich habe mir Ihr Kaufhaus angesehen. Nicht jetzt, früher schon. Ein schönes Haus, aber ohne automatische Feuerlöschanlage. Zu teuer, Senhor
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