Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
andere Leute Johnny Remeta nannten, trat in das Zimmer. Das Wasser lief von seinem Hut und dem schwarzen Regenmantel, in seiner Hand glitzerte eine Nagelfeile.
»Ich hab gedacht, es war meine Tante. Sie müsste jeden Moment hier sein«, sagte Little Face.
»Ist ein weiter Weg von Lake Charles bis hierher. Weil sie nämlich dort hingezogen ist.«
Remeta setzte sich auf einen Sessel neben dem Bett, stützte sich auf die Hände und beugte sich vor, sodass sich seine Silhouette im Flackern der Blitze abzeichnete, die über den Bäumen am Bayou zuckten.
»Darf ich meine Sachen ablegen? Sie sind nass«, sagte er.
»Bei uns gibt’s nix zu holen, Regenmann. Mein Baby hat Husten. Ich hab Wick in heißem Wasser gelöst. Deswegen riecht’s hier drin so. Wenn du da bleibst, wirst du auch krank.«
Er nahm den Hut ab und legte ihn mit der Krempe nach oben auf den Boden, schlüpfte dann aus dem Regenmantel und ließ ihn mit der nassen Seite nach außen über der Sessellehne hängen. Er musterte ihr Gesicht, dann den Mund, und sie sah, wie er schluckte. Sie zog sich die Decke über den Bauch.
»Damit hab ich nix mehr zu schaffen«, sagte sie.
Er hatte die Hände auf den Schenkeln liegen, ballte sie ein ums andere Mal zur Faust, sodass die Adern an seinem Arm hervortraten.
»Hast du’s auch mit Weißen gemacht?«, fragte er.
»Hier im Süden hat die Hautfarbe noch nie ’ne Rolle gespielt, wenn man mit jemand ins Bett geht.«
Daraufhin sagte er etwas, das im Donner unterging, falls er überhaupt einen Ton hervorgebracht hatte.
»Ich versteh dich nicht«, sagte sie.
»Kommt’s denn auf einen mehr oder weniger an?«
»Ich will dein Geld nicht. Ich will nix mit dir zu tun haben, Regenmann. Geh wieder dorthin, wo du herkommst.«
»Red nicht so mit mir«, sagte er.
Der Regen pladderte aufs Dach und schoss über die Fenster herunter. Little Face meinte jeden Herzschlag durch das dünne Pyjamaoberteil zu spüren. Der Gummizug ihres Nylonhöschens schnitt ein, aber sie wusste, dass sie sich auf keinen Fall bewegen, sich nicht bequemer hinsetzen durfte, obwohl sie sich nicht erklären konnte, weshalb sie das wusste.
Rasselnd stieß Remeta den Atem aus, als ob er einen Kloß im Hals hätte.
»Früher hab ich die Leute immer mit einem Trick erschreckt, damit ich ihnen nichts tun musste. Ich zeig’s dir«, sagte er.
Er zog einen blauschwarzen Revolver mit kurzem Lauf aus dem Holster, das er mit einem Klettverschlussriemen um den Knöchel geschnallt hatte. Er kippte die Trommel heraus, ließ alle sechs Patronen in seine Hand fallen. Sie waren dick, mit Messing ummantelt und wirkten viel zu groß für den Revolver. Er schob eins der Geschosse in die Trommel, drehte sie einmal und klappte sie wieder in den Rahmen, ohne darauf zu achten, wo das geladene Patronenlager stand.
»Schon mal was über Doc Holliday gelesen? Jeder hat gewusst, dass es ihm wurscht ist, ob er lebt oder stirbt, und das hat er ausgenutzt. Deshalb mach ich das manchmal auch, und die Leute machen sich fast immer in die Hosen«, sagte Remeta.
Er spannte den Revolver, setzte sich den Lauf an die Schläfe und drückte ab.
»Schau, du bist zusammengezuckt. Als ob du an meiner Stelle wärst. Aber ich kann anhand des Gewichts erkennen, wo die Patrone ist«, sagte er.
Sie stützte sich auf die Hände und lehnte den Rücken an das Kopfteil des Bettes. Sie befürchtete, die Kontrolle über ihren Schließmuskel zu verlieren. Sie schaute zu ihrem Baby, das in seinem Bettchen lag, und auf den Lichtschein des Fernsehers in der Hütte eines Nachbarn, der nachts arbeitete, auf ihre Plastikkarte vom Sozialamt, die auf dem Tisch lag und noch bis Ende der Woche gültig war, auf die billigen Kleider, die im Schrank hingen. Sie roch den Angstschweiß unter ihren Achseln, den seifigen Duft, den entweder die Bettwäsche oder ihr Pyjamaoberteil absonderte, und hatte das Gefühl, als ob ihre Brüste schlaff und schwer herabhingen wie bei einem verhutzelten alten Weib. Ihr Bauch war voller Schwangerschaftsstreifen und fühlte sich schwabblig und gleichzeitig prall wie ein mit Wasser gefüllter Ballon an, und mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie nichts besaß, das auf dieser Welt irgendetwas wert war, nicht einmal mehr ihren Körper, sich weder an Freunde wenden noch jemand anderen um Hilfe bitten konnte, nichts zu bieten hatte, damit man sie und ihr Baby am Leben ließ, dass man sich auf dieser Welt alles nehmen konnte, was man von ihr wollte, und vielleicht, wenn sie Glück
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