Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
eine Absteige mit einer Geheimnummer. Eine seiner Bräute kriegt dort Anrufe, die ihr einen Höllenschiss einjagen.«
»Du meinst, Clete und ich stecken dahinter?«
»Purcel ist ein Vieh. Der ist zu allem fähig. Letzte Nacht hat jemand mit Rehposten die Windschutzscheibe von Gables Auto zerschossen und knapp seinen Kopf verfehlt.«
»Es ist Remeta.«
»Du hast nichts damit zu tun? Gibst du mir dein Wort darauf?«
»Ich habe nichts damit zu tun, Dana.«
»Geht’s dir gut?«, sagte er.
»Warum?«
»Weil du nicht so aussiehst.«
»Muss am Wetter liegen.«
Er blickte in den Sonnenschein, die Schatten auf dem Bambusrohr und die Weiden, die sich im Wind bogen, der vom Golf wehte.
»Du musst einen komischen Stoffwechsel haben«, sagte er.
Ich hatte Dana mein Wort gegeben, dass ich Jim Gable weder schikaniert noch etwas mit den Schrotschüssen auf ihn zu tun hatte. Ich hatte nicht gesagt, was die Zukunft womöglich noch bringen könnte.
Am Samstag fuhr ich in aller Frühe in den Bezirk Lafourche und zwischen den Zuckerrohrfeldern hindurch nach Süden, in Richtung Golf. Ein heftiger Wind wehte, der Himmel war schwarz geworden, und ich spürte regelrecht, wie das Barometer fiel. Schwere Regentropfen, so groß wie Murmeln, zerplatzten auf meiner Windschutzscheibe, als ich die Purple Cane Road entlangfuhr, an dem Gemischtwarenladen und dem Tanzlokal vorbei, in dem meine Mutter einst gearbeitet hatte. In der Ferne sah ich das zweistöckige, kaffeebraun verputzte Haus, in dem Jim und Cora Gable wohnten, und die Palmen, die über dem Dach wogten.
Aber niemand kam an die Tür. Ich saß in meinem Pick-up und wartete fast bis zum Mittag, betrachtete die Wolken, die wie schwarze Tintenschleier über den verhangenen Himmel trieben. Ich weiß nicht, was ich dort vorhatte oder herauszufinden hoffte, aber mir war klar, dass die Mörder meiner Mutter niemals dingfest gemacht werden würden, wenn ich die Sache einfach auf sich beruhen ließe und darauf vertraute, dass die Gerechtigkeit ihren Gang nahm. Die Temperatur musste um rund zehn Grad gefallen sein, und durch das Fenster konnte ich die Meerforellen riechen, die sich in der Bucht tummelten, und den kühlen, nassen Staub, der aus dem Zuckerrohr aufstieg, und als ich die Augen schloss, war ich wieder ein kleiner Junge, fuhr mit meiner Mutter und Mack die Purple Cane Road entlang und fragte mich, wie es meinem Vater, Big Aldous, und unserem Haus oben am Bayou, südlich von New Iberia, ergehen mochte.
Dann ging die Haustür auf, und Cora Gable schaute zu meinem Pick-up. Ihr Gesicht war weiß und von Falten durchzogen wie rissiger alter Gips, und die Kopfhaut schien durch, als der Wind an ihren Haaren zauste. Ich stieg aus dem Laster und ging auf sie zu. Im Zwielicht schimmerte ihr Mund hellrot, und sie versuchte zu lächeln, doch ihre Miene war derart verkrampft, dass ich an eine überdehnte Gitarrensaite denken musste, die so straff aufgezogen ist, dass sie zittert.
»Oh, Mr. Robicheaux«, sagte sie.
»Ist Jim daheim?«
»Sir, das ist ungeheuerlich. Sie haben meinen Gatten attackiert. Und nun kommen Sie auch noch hierher.«
»Ich glaube, Ihr Mann ist für Micahs Tod verantwortlich, Miss Cora.«
»Micah ist nach New Mexico zurückgekehrt. Jim hat ihm das Fahrgeld gegeben. Was erzählen Sie mir da?«
»Darf ich reinkommen?«
»Nein, das dürfen Sie nicht. Jim sagte schon, dass Sie etwas dergleichen tun würden. Ich glaube, ich habe ein paar Sachen von Ihrer Mutter. Hieß sie nicht Guillory? Sie waren in einem Schuppen. Vielleicht sollten Sie sie mitnehmen und verschwinden.«
»Sie haben Sachen, die meiner Mutter gehörten?«
»Ja, ich glaube schon.« Sie wirkte mit einem Mal gedankenverloren, unschlüssig, hin und her gerissen, so als gingen ihr allerlei Fragen und Antworten zugleich durch den Kopf. »Ich weiß momentan nicht, wo sie sind. Ich bin nicht für anderer Leute Sachen verantwortlich.«
Ich trat einen Schritt näher zur Tür. Der Regen prasselte vom Himmel, schoss über die Dachziegel und pladderte auf die Beete mit dem Philodendron und den Caladien, die den mit Ziegeln ausgelegten Fußweg säumten.
»Gehen Sie, bevor ich die Polizei rufe«, sagte sie, schloss mit beiden Händen die schwere Tür und legte den Riegel vor.
Ich fuhr über die unbefestigte Straße zurück. Kurz vor dem Gemischtwarenladen spürte ich, dass ich auf dem linken Vorderrad Luft verlor. Ich hielt auf dem Parkplatz vor dem Laden und holte Wagenheber, Radschlüssel, ein paar
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