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Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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das Trinken sein lässt, solange wir fahren?«, sagte ich.
    »Weiß Gable irgendwas über den Tod deiner Mutter?«, sagte er.
    »Darauf kannst du Gift nehmen.«

4
    A m Montag fuhr ich zur Frauenhaftanstalt in St. Gabriel, zehn Meilen südlich von Baton Rouge gelegen, und wartete, bis Letty Labiche von einer Wärterin aus dem Zellenblock in einen Besucherraum gebracht wurde. Während ich wartete, packte ein Fernsehteam mit einer Reporterin und einem Reporter, die für einen christlichen Kabelkanal tätig waren, seine Ausrüstung zusammen.
    »Haben Sie Letty interviewt?«, fragte ich die Frau.
    »O ja. Ihre Geschichte ist ja so tragisch. Aber zugleich auch so wunderschön«, erwiderte sie. Sie war um die Vierzig, blond und attraktiv, wirkte stramm und knackig und trug ein pinkfarbenes Kostüm.
    »Wunderschön?«, sagte ich.
    »Ja, für einen Christen schon, weil es dabei um Vergebung und Hoffnung geht.« Sie sah zu mir auf, ihre blauen Augen voller Sendungsbewusstsein.
    Ich schaute zu Boden und sagte nichts, bis sie, der andere Journalist und das Team gegangen waren.
    Letty trug Handschellen und Häftlingsdrillich, als sie von der Wärterin in den Raum gebracht wurde. Die Wärterin war breitschultrig, hatte ein rosiges Gesicht, kastanienbraune Haare und Arme wie eine irische Wäscherin. Sie schloss Lettys Handschellen auf und rubbelte ihr die Gelenke.
    »Ich hab sie ein bisschen stramm angelegt. Kommst du hier klar, Schätzchen?«, sagte sie.
    »Ist schon gut, Thelma«, sagte Letty.
    Ich hätte Letty nicht von ihrer Zwillingsschwester unterscheiden können, von der Rose mit den grünen Blättern einmal abgesehen, die auf ihren Hals tätowiert war. Sie hatte den gleichen Teint, das gleiche rauchfarbene, wellige, von goldenen Strähnen durchzogene Haar, selbst das gleiche kraftvolle Auftreten. Sie setzte sich mit mir an einen Holztisch, kerzengerade, die Hände gefaltet.
    »Sie kommen im Kabelfernsehen, was?«, sagte ich.
    »Ja, es ist ziemlich aufregend«, sagte sie.
    Doch dann bemerkte sie meinen Blick.
    »Finden Sie das nicht gut?«, sagte sie.
    »Alles, was Ihnen etwas nutzen kann, ist richtig.«
    »Ich glaube, das sind gute Menschen. Sie waren freundlich zu mir, Dave. Ihre Sendung wird in Millionen von Haushalten ausgestrahlt.«
    Dann sah ich, wie sehr sie von Angst verzehrt wurde, wie bereit sie war zu glauben, dass Ausbeuter und Scharlatane etwas an ihrem Schicksal ändern könnten oder sich wirklich darum scherten, was aus ihr wurde, erkannte das ganze Ausmaß der Furcht und des Entsetzens, die sich wie kalter Dunst auf ihr niederschlugen und ihr das Herz gefrieren ließen, wenn sie morgens aufwachte und dem Hinrichtungstisch in Angola wieder einen Tag näher war. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Sechs Wochen? Nein, es waren nur noch fünf Wochen und vier Tage.
    Ich erinnerte mich an einen Filmausschnitt, in dem Letty bei einem Gottesdienst in der Gefängniskirche zu sehen war, wie sie sich vor dem Kreuz auf den Knien aufrichtete, die gefalteten Hände in theatralischer Pose hoch über dem Kopf zum Gebet erhoben. Es war ein fast peinlicher Anblick gewesen. Aber ich hatte vor langer Zeit gelernt, dass man, solange man nicht selbst seine Bewährungsprobe im Garten Gethsemane bestanden hat, nicht über jene urteilen sollte, die das Schicksal dorthin verschlägt.
    »Was können Sie mir über eine Schwarze namens Little Face Dautrieve sagen?«, fragte ich.
    »Was soll ich dazu sagen?«
    »Sie kennen sie doch, nicht wahr?«
    »Der Name kommt mir eigentlich nicht bekannt vor«, sagte sie.
    »Warum sind Sie und Passion nicht bereit, mir zu vertrauen?«, sagte ich.
    Sie schaute auf ihre kräftigen Hände. Die Innenseite schimmerte golden, glänzte vor Feuchtigkeit. Die Nägel waren kurz geschnitten. Ich ergriff ihre Finger.
    »Geht’s Ihnen gut?«, fragte ich.
    »Klar.«
    Doch es stimmte nicht. Ich konnte den pochenden Puls an ihrem Hals sehen, die weiß verfärbte Haut rund um die Nasenlöcher. Sie schluckte trocken, als sie mich wieder anschaute, bemühte sich nach Kräften darum, den strahlenden Blick zu bewahren, den wieder geborene Christen wie ein Erkennungszeichen zur Schau tragen.
    »Niemand muss immerzu tapfer sein. Man darf auch mal Angst haben«, sagte ich.
    »Nein, darf man nicht. Nicht, wenn man glaubt.«
    Dazu fiel mir nichts mehr ein. Ich verabschiedete mich und ging hinaus in die Welt, wo es Wind gab und grünes Gras, Sonnenschein auf der Haut und Bäume, die sich vor dem Himmelsblau bogen. Es war ein

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