Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Anblick, den ich nicht für selbstverständlich hinnahm.
Als ich an diesem Abend nach Hause kam, war Clete Purcel über das Geländer am Ende meines Bootsstegs gebeugt, aß aus einer Papiertüte geröstete Schweineschwarten und fegte die Krümel an seinen Händen in den Bayou. Die Sonne stand rot hinter den Eichen und Pekanbäumen in meinem Garten, der Sumpf war voller Schatten, und Raubvögel kreisten über den Wipfeln der abgestorbenen Zypressen.
Ich ging hinunter zum Bootsanleger und lehnte mich neben ihm ans Geländer.
»Der Mond geht auf. Hast du Lust, es mal mit der Stippangel zu probieren?«, sagte ich.
»Ich hab heut einen Anruf von Zipper Clum gekriegt. Er sagt, man hat ihm grade gewaltig was aufs Dach gegeben, und wir wären dafür verantwortlich.« Er holte ein Stück Schwarte aus der Tüte und schob es sich mit Daumen und Zeigefinger in den Mund.
»Hat Gable ein paar Cops auf ihn angesetzt?«
»Sie haben ihn durch die Mangel gedreht und mit einem Haufen Typen von der Arierbruderschaft in eine Arrestzelle gesteckt. Zipper hat zwei Zähne auf den Beton gelassen.«
»Sag ihm, er soll uns was liefern, dann helfen wir ihm.«
»Der Kerl ist ein Sumpfmolch, Dave. Sein größter Feind ist sein Mundwerk. Er reißt es zwar auf, aber er hat nichts zu bieten.«
»Das Leben ist hart.«
»Yeah, das hab ich ihm auch gesagt.« Clete riss eine Bierdose auf und stützte sich mit den Ellbogen auf den Handlauf. Der Wind strich durch das Bambusrohr und die Weiden am Rande des Bayous. »Zipper meint, er wird womöglich umgelegt. Ich sag mir, nicht schade drum, aber ich möchte nicht derjenige sein, der ihn reingeritten hat. Schau, der Kerl ist abgebrüht. Wenn der sich in die Hosen macht, dann gibt’s einen Grund dafür. Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja«, sagte ich geistesabwesend.
»Du hast Jim Gable Feuer unterm Arsch gemacht. Er hat vor, Leiter der Staatspolizei zu werden. Kannst du dich noch an die schwarze Familie erinnern, die vor etwa zehn Jahren mit Schrotflinten ausgelöscht wurde? Draußen bei der Sozialsiedlung Desire? Der Mann hat ein paar Drogenfahnder verpfiffen, und die haben ihn samt Frau und Kind kalt gemacht. Ich hab gehört, dass Gable den Mord an dem Mann befohlen hat und die Sache aus dem Ruder gelaufen ist.«
»Ich sag Bootsie kurz Bescheid, dass ich da bin, dann lassen wir ein Boot zu Wasser«, sagte ich.
Clete aß seine Schwarten auf, knüllte die Tüte zusammen und fegte sie mit der flachen Hand in eine Mülltonne.
»Ich hab mich schon immer gefragt, wie es ist, wenn man sich mit einem Holzpfahl unterhält«, sagte er.
Seinerzeit war ein fast zwei Meter großer Populist namens Belmont Pugh Gouverneur des Staates Louisiana. Er war in einer nördlich von Baton Rouge am Mississippi gelegenen Kleinstadt als Spross einer Pachtbauernfamilie aufgewachsen – einfache, ungebildete Leute, Analphabeten allesamt, die Pekannüsse von der Ladefläche ihrer Pick-ups verkauften, ihren Lebensunterhalt bei der Maisernte oder mit Baumwollpflücken verdienten und allgemein als armes weißes Gesocks bezeichnet wurden. Aber obwohl die Pughs von ihrem Stellenwert her noch unter den Negern in ihrer Gemeinde rangierten, hatte es sie nie zum Ku-Klux-Klan hingezogen, und so weit man wusste, waren sie nicht ein einziges Mal ausfällig oder gemein zu Farbigen gewesen.
Ich hatte Belmont über seinen Cousin Dixie Lee Pugh auf der SLI kennen gelernt, als wir dort Ende der fünfziger Jahre gemeinsam zur Schule gingen. Dixie Lee wurde der berühmteste weiße Bluessänger seiner Generation, als Rock ’n’ Roll-Star nur von Elvis übertroffen. Belmont lernte das Klavierspielen im gleichen schwarzen Tanzschuppen wie Dixie Lee, aber er wurde jäh bekehrt, wandte sich der Religion zu und widmete sich fortan dem Predigerberuf statt der Musik. Er trat vor verzückten ländlichen Glaubensgemeinschaften in ganz Louisiana auf, trieb Dämonen aus, bändigte Schlangen und trank deren Gift. Er taufte Neger und arme Weiße in Bayous, in denen der Schlamm so dick war, dass er die Kanalisation verstopfte, während Wassermokassinschlangen und Alligatoren blinzelnden Auges zwischen den Seerosenblättern hervorlugten.
Doch die Spenden, die er von den Kirchgängern bekam, waren nur gering, und seinen Lebensunterhalt bestritt er dadurch, dass er Putzmittel, Besen und Scheuerbürsten aus seinem Auto verkaufte. Gelegentlich kam er in New Iberia vorbei und bat mich, mit ihm in Provost’s Bar zu Mittag zu essen. Er hatte nur ein Jahr
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