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Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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aus einem Auto stieg, mit einem Schritt den überfluteten Bordstein überquerte und den Fußweg vor dem Gerichtsgebäude hochrannte. Haut und Haare glänzten vor Wasser, als sie an die Glastür meines Büros klopfte. Unter dem rechten Arm trug sie ein in eine Cellophantüte gewickeltes Poesie- oder Fotoalbum.
    »Möchten Sie sich abtrocknen?«, fragte ich.
    »Tut mir Leid, dass ich Sie neulich bei meinem Haus so angepflaumt habe. An manchen Tagen geht’s mir nicht so besonders«, sagte sie.
    »Ist schon gut. Wie wär’s mit einem Kaffee?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab das Bild mit Miss Deshotel gefunden. Das, von dem ich ihr erzählt habe, als sie in meinem Club gewesen is. Es war am Dachboden. Meine Eltern haben sämtliche Bilder von all den Orten aufgehoben, an denen sie gewohnt oder die sie besucht haben.«
    Sie nahm vor meinem Schreibtisch Platz, holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte sich das Gesicht ab.
    »Warum haben Sie sich dazu entschlossen, es vorbeizubringen?«, fragte ich.
    »Weil Sie danach gefragt haben. Weil Sie gut zu uns gewesen sind.«
    Passion schlug die steifen Blätter des Albums um, bis sie auf ein großes Schwarzweißfoto stieß, das in einem Nachtclub aufgenommen worden war. Der Spiegel hinter der Bar war mit Weihnachtsmännern, Schlitten, Rentieren und Styroporschneebällen geschmückt, davor saßen fünf Personen auf Barhockern, darunter auch Passions Eltern, hatten ihre Getränke auf den Knien stehen und strahlten dem Anlass entsprechend in die Kamera.
    Jemand hatte mit blauer Tinte »Weihnachten 1967« in die eine Ecke geschrieben, doch auf dem Foto war eindeutig Connie Deshotel zu sehen. Sie war eine jener Frauen, deren Gesichtszüge sich im Laufe der Zeit kaum verändern und sich eher durch einen natürlichen Liebreiz auszeichnen als durch Äußerlichkeiten wie Alter oder Jugend. Sie trug ein schwarzes, mit Pailletten besetztes Abendkleid mit einem geschnürten Mieder und hielt ihr leeres Sektglas schräg in der Hand. Im Gegensatz zu den anderen galt ihr Lächeln nicht der Kamera, sondern jemandem, der nicht im Bild war.
    »Warum sollte dieses Bild für irgendjemanden wichtig sein?«, fragte Passion.
    »Eure Eltern waren in der Szene. Connie Deshotel ist die Generalstaatsanwältin.«
    »Sie haben drei oder vier Tanzlokale geführt. Dort sind alle möglichen Leute hingegangen. Earl K. Long, der Gouverneur, war auch häufig da.«
    »Darf ich das Foto behalten?«
    Sie riss die angeklebten Ränder los und reichte es mir. Was es damit für eine Bewandtnis hatte oder ob es irgendwie von Bedeutung sein könnte, schien ihr schon nicht mehr bewusst zu sein, als ich es ihr aus der Hand nahm.
    »Meine Schwester hat jetzt nur noch einen Anwalt, der mit ihrem Fall befasst ist. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt«, sagte sie.
    »Ich glaube, Sie haben Letty dabei geholfen, Vachel Carmouche umzubringen. Und meiner Meinung nach werden Sie auch nichts erreichen, solange Sie nicht mit der Wahrheit rausrücken und reinen Tisch machen«, sagte ich.
    Sie starrte mich gebannt an, wie ein Tier, das von den Scheinwerfern eines Lastwagens erfasst wird.
    Sie rannte buchstäblich aus dem Dienstgebäude.
    Ich hasste mich für meine Worte.
    Ich bin im südlichen Louisiana der vierziger und fünfziger Jahre groß geworden. Ich kann mich noch an die Einarmigen Banditen und die Automaten mit den Rennpferden erinnern, an ihre blinkenden Lichter und den glitzernden Chrom zwischen den eingetopften Palmen im alten Frederic Hotel an der Main Street, und an die Hütten zu beiden Seiten der Bahngleise, die entlang der Railroad Avenue verliefen. Wenn ich am Samstagnachmittag das Zeitungsgeld kassierte, saßen die Prostituierten immer auf ihren Galerien, rauchten die neuen Filterzigaretten und schöpften sich manchmal ein Glas Bier aus dem Kübel, den ihnen ein Zuhälter von Brousard’s Bar brachte. Es waren reizlose, verlebt wirkende Frauen, die sich nicht schminkten, und ihre Haare wirkten ungekämmt und schmutzig. Manchmal lachten sie wie Geistesgestörte, ein hohes, schrilles Meckern, das hohl und blechern zum Himmel schallte.
    Keine von ihnen sprach mit Cajun-Akzent, und ich fragte mich oft, woher sie kamen. Ich fragte mich, ob sie jemals zur Kirche gegangen waren, ob sie Eltern hatten, vielleicht auch Kinder. Einmal sah ich, wie ein Zuhälter einer von ihnen auf der Galerie eine knallte – es war das erste Mal, dass ich einen Mann eine Frau schlagen sah. Sie hielt sich die Hand an die blutende

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