Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
sehen. Ich stieß jede einzelne Kabinentür auf, trat zurück, wenn sie hohl gegen die Trennwände schlugen. Dann steckte ich den .45er wieder ins Holster, ging hinaus und winkte dem Cop zu, dass er mir folgen sollte. Ich sah, wie Alafair mit leerem Blick quer durch den Raum zu mir schaute.
Wir stiegen wieder hinunter ins Erdgeschoss, wo ich zu der Bibliothekarin am Ausleihschalter ging und ihr Johnny Remeta beschrieb. Sie nahm die Brille ab, ließ sie an dem Samtband herabhängen, das sie um den Hals hatte, und blickte nachdenklich in die Luft.
»Hat er einen Strohhut auf?«, fragte sie.
»Kann sein ... Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Er ist vor ein paar Minuten an mir vorbeigegangen. Ich glaube, er ist in der historischen Abteilung. Das ist der Raum dahinten«, sagte sie und deutete an den Büchergestellen vorbei.
Der Cop hielt sich hinter mir, als ich zwischen den Regalen hindurch zu einer grauen Eisentür ging, in die ein kleines rechteckiges Fenster aus Panzerglas eingelassen war. Ich schaute hindurch, sah aber nur Bücherregale und einen schmucklosen Schreibtisch, auf den das Licht einer Leselampe fiel. Ich zog meinen .45er und hielt ihn mit dem Lauf nach unten an den Schenkel, dann stieß ich die Tür auf und trat ein.
Das Seitenfenster stand auf, und ein Strohhut mit einem schwarzen Band um die Krone lag mit der Krempe nach unten am Boden. Ein aufgeschlagener Sammelband mit Fotos aus der Zeit des Bürgerkriegs lag auf dem schmalen Schreibtisch. Auf den beiden aufgeblätterten Seiten waren Aufnahmen toter Soldaten der Konföderierten und der Union zu sehen, die bei Dunker Church und am Bloody Angle gefallen waren.
»Das ist ja die reinste Kühlkammer«, sagte der Cop.
Ich schaute aus dem Fenster in die Sommernacht, hörte die Grillen zirpen, das Quaken der Frösche im Bayou und das leise Knarren der Eichen im Wind. Doch die Luft in dem Raum fühlte sich an wie Trockeneisnebel.
»Glaubst du an den Todesengel, Top?«, sagte ich.
»Ja, ich hab ihn gut gekannt. Meine Ehemalige. Aber vielleicht war sie auch der Antichrist. Ich bin mir da nie ganz sicher gewesen«, erwiderte er.
Ich stieg durch das Fenster und ließ mich auf den Rasen fallen. Dann ging ich hinaus auf die Straße, über den Parkplatz und runter zum Bayou. In der Ferne hörte ich das Signalhorn eines Schleppkahns, dann hob sich laut scheppernd die Zugbrücke an der Burke Street. Johnny Remeta war nirgendwo zu sehen. Der Himmel hatte aufgeklart, war schwarz wie Samt und mit Sternen übersät, die wie tausend Augen aus allen Richtungen auf mich herabblickten.
Später, als wir nach Hause fuhren, saß Alafair am äußersten Ende der Sitzbank und starrte aus dem Fenster, ließ sich keine Regung anmerken, als wäre jegliche Wut, Reue, Scham oder was immer sie empfinden mochte, einer tiefen Müdigkeit gewichen und bis zum nächsten Tag aufgehoben.
»Möchtest du mit Bootsie reden?«, sagte ich.
»Nein. Du bist eben einfach so, Dave. Du wirst dich nicht mehr ändern.«
»Wie bin ich denn?«, sagte ich und rang mir in der Dunkelheit ein Lächeln ab.
»Ich möchte nicht drüber reden.«
Als ich in die Auffahrt stieß und den Motor abstellte, stieg sie aus, lief zum Vorgarten und ging durch die Wohnzimmertür ins Haus, damit sie mich an diesem Abend nicht mehr sehen musste.
»Was ist denn los, Dave?«, sagte Bootsie, als ich in die Küche kam.
»Es war Remeta. Ich habe versucht, ihn in der Bibliothek zu schnappen. Er ist entkommen.«
Das Telefon klingelte. Ich hörte, wie Alafair zu dem Anschluss im Flur ging, unmittelbar vor ihrem Zimmer. Mit klopfendem Herzen nahm ich den Hörer des Wandapparats in der Küche ab.
»Hallo?«, sagte ich.
»Sie sind hinter mir hergerast, als wär ich was Ansteckendes«, sagte Remeta.
»Woher haben Sie diese Nummer?«, sagte ich.
»Was kümmert Sie das? Ich hab sie halt.«
»Halten Sie sich gefälligst von meiner Tochter fern«, sagte ich.
»Was ist denn mit Ihnen los? Reden Sie nicht so mit mir.«
Meine Schläfen hämmerten, mein Hemd war mit kaltem Schweiß getränkt, sauer schlug mir mein Atem vom Hörer entgegen.
»Bislang habe ich nichts gegen Sie persönlich. Aber wenn Sie meine Familie in Ihren Irrsinn hineinziehen, werden Sie sich wünschen, Sie wären noch der Lustknabe in Raiford.«
Ich konnte seinen Atem durch das Telefon hören, spürte ihn beinahe körperlich, als ob ein Stück Schmirgelleinen über den Hörer schürfte.
Als er wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme anders. Sie
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