Straße nach überallhin
gibt, nur Gefühle. Ich habe gelernt, sie zu untersuchen, wie ich gelernt habe, meine Motive in Frage zu stellen. Ich kann aber nicht weiter, als bis zur simplen Tatsache ihrer Existenz gelangen. Das brachte mich zu der Frage …“
„Welcher Frage?“
„Was auch immer mir angetan worden ist – könnte es sein, daß mein Gedächtnis aus gutem Grund gelöscht wurde? War ich unter Umständen sogar eine Gefahr, so wie ich damals war?“
„Ich will ehrlich mit Ihnen sein und Sie nicht länger im unklaren lassen“, sagte Sundoc. „Ja, das war der Grund. Aber Sie dürfen eines dabei nicht außer acht lassen: Sie wurden nicht getötet, obwohl diese Möglichkeit bestanden hätte. Es gab also auch einen Teil in Ihnen, den man einer Rettung für wert befand.“
„Aber was war das für ein Teil?“ fragte Timyin Tin. „War es ein verborgener moralischer Wert, den ein geheimnisvoller Prinz hervorheben wollte, um andere Aspekte meiner Existenz damit auszugleichen? Oder wollte man ganz einfach nicht vernichten, was einmal von großem Nutzen gewesen war?“
„Vielleicht von beidem etwas“, gestand Sundoc. „Dazu kam dann noch, daß man in Ihrer Schuld stand.“
„Die Erinnerungen an Prinzen sind nur sehr kurz. Aber das sei vorerst einmal dahingestellt. Ich kann, bei allem Nachdenken, nur einen Grund sehen, warum jemand meine Wiedererweckung wünschen könnte: Wer sie hierhergesandt hat, möchte, daß ich jemanden für ihn töte, oder stimmt das etwa nicht?“
„Ich glaube, das sind Fragen, die man zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren sollte, wenn Ihre Behandlung abgeschlossen ist.“
Sundoc wollte nach dem Zügel seines Pferdes greifen, aber irgendwie gelang es Timyin Tin, vorher seine Hand zu umklammern und ihn aufzuhalten.
„Jetzt“, sagte der kleine Mann. „Ich will es jetzt wissen. Mein Gedächtnis ist soweit wiederhergestellt, daß es mir möglich ist, ein klares Ja oder Nein auf meine Frage zu verstehen.“
Sundoc blickte in die dunklen Augen, sah aber rasch wieder weg.
„Und wenn die Antwort ja lautet?“
„Versuchen Sie es, dann werden wir weitersehen.“
„Sehen Sie, ich bin nicht die geeignete Person, Ihnen irgendwelche Zusagen oder Versprechungen zu machen. Warum warten Sie denn nicht, bis wir das Ziel unserer Reise erreicht haben? Sie werden sich dann viel besser unter Kontrolle haben, und außerdem wird dann jemand dasein, der …“
„Ja oder nein?“ fragte er, als Toba an ihre Seite geritten kam. Sundoc sah dem anderen Mann in die Augen, und dieser nickte.
„Also gut. Ja, jemand möchte einen anderen Mann getötet haben, und Sie sind der beste Mann für diese Aufgabe. Deshalb haben wir Sie geholt.“
Der kleine Mann lockerte seinen Griff.
„Das genügt vorerst“, sagte er. „Details interessieren mich noch nicht.“
„Wie sieht Ihre Reaktion auf diese Information aus?“ fragte Toba.
„Es tut gut, gebraucht zu werden“, antwortete Timyin Tin. „Reiten wir weiter.“
„Sie haben die Worte ziemlich stoisch aufgenommen. Was für ein Interesse haben Sie an der verlangten Handlung?“
„Ein großes“, sagte er. „Es muß schon ein bedeutender Gegner sein, der meine Wiedererweckung rechtfertigt. Aber gleichzeitig beschäftigt mich auch etwas anderes.“
„Und das wäre?“
„Ich bin stark, und ich werde im Lauf der Behandlung immer stärker. Aber der Mönch ist immer noch in mir. Ich frage mich, ob das immer so sein wird …“
„Ja, denn er ist eines Ihrer vielen Gesichter.“
„Gut. Ich würde den Kontakt mit diesem Teil meines Lebens nur ungern ganz verlieren. Es war so … friedlich. Aber … nun bin ich mit einer seltsamen Art von Bewußtsein ausgestattet.“
„Hoffen wir, daß die Entwicklung in die richtigen Bahnen gerät.“
„Das hängt ganz davon ab, was Sie alles noch von mir verlangen.“
„Sie sagten, Sie seien im Moment noch nicht an Details interessiert.“
„Das war ein anderer, der gesprochen hat.“
„Also gut. Da existiert eine Straße, die immer und ewig weiterführt, und ein Mann, der die richtigen Zu- und Ausfahrten kennt, die richtigen Windungen und Kreuzungen, kann auf ihr in fast alle Epochen und an alle Orte gelangen. Unter den vielen, die auf dieser Straße reisen, ist einer, dem die Schwarze Zehn erklärt worden ist.“
„Schwarze Zehn?“
„Seinem Feind werden zehn Versuche, ihn zu töten, eingeräumt, ohne vorherige Warnung. Die Angriffe dürfen in jeder Form erfolgen, auch Agenten dürfen engagiert
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