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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Highway-Verschönerungsprogramms die meisten der Werbeflächen entfernen. Inmitten der Rocky Mountains war das zweifellos eine gute Sache, doch hier draußen, im einsamen Herzen des Landes, leisteten Reklametafeln praktisch einen Dienst an der Allgemeinheit. Schon aus einer Meile Entfernung zogen sie die Aufmerksamkeit auf sich. Gebannt verfolgte man, wie sie näher
rückten, und wollte wissen, was auf ihnen geschrieben stand. Je eintöniger die Landschaft entlang der Straße wurde, desto mehr gewannen sie an Bedeutung. Es war ungefähr wie mit den kleinen Windmühlen in Pella: besser als gar nichts.
    Aufwendigere Reklametafeln schmückten sich mit einem dreidimensionalen Element. Warb man für ein Milchprodukt, ragte der Kopf einer Kuh aus der Tafel. Handelte es sich um Werbung für eine Kegelbahn, hoben sich eine Bowlingkugel und die verstreut herumliegenden Kegel räumlich von der Fläche ab. Manchmal kündigten die Tafeln auch nahende Attraktionen an. Über Worten wie BESUCHEN SIE DIE SPUKHÖHLEN! OK-LAHOMAS GROSSE FAMILIENATTRAKTION! NUR 69 MEILEN! schwebte dann vielleicht eine Geistergestalt. Wenige Meilen später wurde ein weiteres Schild verkünden: GEBÜHRENFREIE PARKPLÄTZE AN DEN SPUKHÖHLEN! NUR 67 MEILEN! So ging es weiter. Schild für Schild versprach man einen so aufregenden und lehrreichen Nachmittag, wie ihn sich eine Familie – zumindest in Oklahoma – nur wünschen konnte. All diese Versprechungen waren illustriert mit Darstellungen von unterirdischen Kammern, unheimlich beleuchtet und so groß wie Kathedralen, in denen Stalaktiten und Stalagmiten auf wunderbare Weise die Gestalt von Hexenhäusern, brodelnden Kesseln, Fledermäusen und von Caspar, dem Freundlichen Geist, angenommen hatten. Alles machte einen äußerst vielversprechenden Eindruck, so dass wir Kinder auf dem Rücksitz bald begannen, uns mit Nachdruck dafür einzusetzen, dort anzuhalten und die Sache aus der Nähe zu betrachten. Einer nach dem anderen flehte aufs Ergreifendste: »Oh, bitte, Dad, oh, biiiitte.«
    Im Laufe der folgenden sechzig Meilen würde die Haltung meines Vaters in dieser Angelegenheit die verschiedensten Stadien durchlaufen. Es begann gewöhnlich mit einer schlichten Weigerung und der abgedroschenen Begründung, es sei bestimmt sehr teuer, und überhaupt hätten wir uns seit dem Frühstück so unmöglich benommen, dass derartige Extra-Vergnügungen
nicht zu rechtfertigen seien, bis er dann dazu übergehen würde, unser Flehen geflissentlich zu überhören (diese Phase konnte bis zu elf Minuten dauern). Anschließend würde er sich diskret an meine Mutter wenden, sie leise nach ihrer Meinung fragen, eine unbestimmte Antwort erhalten und uns erneut ignorieren, augenscheinlich in der Hoffnung, wir würden die ganze Geschichte vergessen und endlich aufhören zu quengeln (eine Minute, zwölf Sekunden). Anschließend würde er sagen, dass er vielleicht dorthin führe, wenn wir uns dazu entschließen könnten, uns von nun an anständig zu benehmen, und zwar möglichst ein für alle Mal, um dann wiederum zu behaupten, er fahre definitiv nicht dorthin, da wir uns ja schon wieder zankten, und das, obwohl wir noch nicht einmal am Ziel seien. Aber irgendwann war es dann so weit, und er kapitulierte. Mal schreiend vor Wut, mal mit ersterbender Stimme würde er verkünden: »Also gut, fahren wir hin!« Wir wussten immer, wann wir Dad so weit hatten, denn kurz bevor er unserem Drängen nachgab, verfärbte sich sein Hals rot. Es war immer dasselbe. Immer setzten wir am Ende unseren Willen durch. Ich habe nie verstanden, warum er nicht von vornherein unser Flehen erhörte und sich auf diese Weise einen dreißigminütigen Nervenkrieg ersparte. Stets fügte er eilig hinzu: »Aber wir bleiben nur eine halbe Stunde. Und es wird nichts gekauft. Ist das klar?« Wahrscheinlich gab ihm das das Gefühl zurück, die Dinge unter Kontrolle zu haben.
    Während der letzten zwei, drei Meilen warb alle paar Hundert Meter ein Schild für die Spukhöhlen, und wir gerieten in fieberhafte Aufregung. Endlich tauchte eine Werbewand von der Größe eines Schlachtschiffes auf, und ein gigantischer Pfeil zeigte uns an, dass wir nun rechts abbiegen und weitere achtzehn Meilen fahren müssten. »Achtzehn Meilen!«, würde Dad aufschreien. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an, und das Unvermeidliche nahm seinen Lauf. Nach achtzehn Meilen Geholper über eine unbefestigte Straße mit knietiefen Wagenspuren
würde es kein Hinweisschild zu den Spukhöhlen

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