Street Art Love (German Edition)
er breit.
Der Blick meiner Mutter saust auch kurz vorbei, dann erstarrt sie ungläubig und überprüft noch mal, was sie gerade gesehen hat. Ich setze mich schnell.
»Sag mal … ist das nicht Max’ Sweatshirt?«
»Ja, ist ihm zu groß, und ich hatte nichts Schwarzes … Passendes.«
»Ach so. Wo gehst du heute noch mal hin?«
»Zu Charly, wir arbeiten an unserem Referat.«
Meine Mutter nickt. »Viel Spaß dann, und …«
»Ja, ich weiß, spätestens um neun wieder hier.«
Sie atmet erleichtert auf.
Kurz darauf verlassen Max und meine Mutter das Haus, und ich bin allein. Am Nachmittag, hat Charly gesagt, und ich überlege, wann der eigentlich anfängt? Es ist ein Uhr, und das ist Mittag, und alles danach ist doch dann schon Nachmittag, oder? Ich beschließe, mich auf den Weg zu machen, immerhin dauert die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis Potsdam bestimmt eine Stunde. Doch vorher gehe ich ins Bad.
Nach einer Stunde bin ich fertig und habe mich für einen lockeren Pferdeschwanz und leichtes Make-up und einen feinen Kajalstrich um die Augen entschieden. Obwohl es deutlich mehr Make-up ist, als ich sonst trage, sehe ich eigentlich ganz normal aus. Nur cooler.
[zurück]
NACH EINER KNAPPEN STUNDE bin ich endlich in Potsdam, steige um und sitze in der Straßenbahn, die mich in die richtige Gegend bringt. Charly hat mir die Adresse gesimst und eine Wegbeschreibung, ich habe die Adresse in mein Navi eingegeben. Als ich aus der Straßenbahn aussteige, muss ich noch ein ganzes Stück laufen. Schließlich entdecke ich die roten Backsteingebäude, von denen Charly gesprochen hat. Es gibt eine Einfahrt, die mit einem hohen Drahtzaun versperrt ist, aber ich sehe, dass das Tor offen ist und ich es nur etwas verschieben muss. Ich stehe auf einem riesigen Gelände, das zur einen Seite durch einen lang gezogenen zweistöckigen Backsteinbau begrenzt wird und zur anderen Seite in Ödland übergeht. Das müssen die Kasernen sein, von denen Charly gesprochen hat. Soweit ich es verstanden habe, waren es alte preußische Kasernen, später haben die russischen Soldaten darin gewohnt, und nun sind übergangsweise Künstler in die Gebäudekomplexe eingezogen, bis man einen Käufer für die gesamte Anlage gefunden hat.
Ich sehe mich nach dem Aufgang um, den Charly mir beschrieben hat. Wenn man davorsteht, ganz links neben der Holzwerkstatt, dann eine Treppe hoch, rechts, das dritte Atelier.
Ein kleiner Transporter fährt auf den Hof. Zwei Männer steigen aus, laden Holzplatten ab und tragen sie nach links. Dort wird die Holzwerkstatt sein. Ich folge ihnen mit etwas Abstand. Der Platz vor den Gebäuden ist betoniert, es ist so kalt, dass sich eine feine Eisschicht über dem brüchigen Beton gebildet hat, und es ist sehr glatt, besonders wenn man, wie ich, Turnschuhe ohne Profil trägt. Immerhin scheint der Aufgang der richtige zu sein, es ist offen, wie Charly gesagt hat. Drinnen sieht es verwahrlost aus, die Holzwerkstatt benutzt einen Teil des Treppenhauses als Abstellfläche für Material, einige Treppenhausfenster sind zerschlagen, die Scherben liegen zwischen Staub und Dreck auf der Treppe. Hier hat seit Jahren niemand mehr sauber gemacht.
Ich suche einen Lichtschalter. Vergeblich. Von draußen kommt genug Licht rein, sodass ich in den ersten Stock finde, aber dann brauche ich einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Der Flur im ersten Stock hat keine Beleuchtung und keine Fenster, nur ganz am Ende fällt etwas Licht aus offen stehenden Räumen in den Gang, sodass ich zumindest erkenne, wo ich langgehen muss. Es gibt jede Menge Türen, rechts und links, oder besser: selbst gebaute Verschläge, die die Räume sichern. An den Türen hängen Krepppapierstreifen oder Zettel mit Namen, die ich nur schwer lesen kann. Zum Glück gibt es Geräusche, laute Rockmusik und das grelle Kreischen einer Säge von unten aus der Holzwerkstatt. Auch hier im Gebäude ist es kalt, fast noch kälter als draußen, wo die Sonne mich einigermaßen gewärmt hat. Ich zittere, auch vor Aufregung. Ich bin zu dünn angezogen, schon wieder, denn ich trage über dem Hoodie von Max nur eine schwarze Sommerjacke mit Kapuze. Was mache ich hier?
Ich zähle die Türen, während ich mich im Gang vorsichtig vorwärtsbewege, ich will nicht in die Scherben der Bierflaschen treten, die am Boden liegen. Es riecht nach Lack- und Ölfarbe. Ausgerechnet an der dritten Tür ist kein Schild, aber hier muss es sein. Soll ich
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