Street Art Love (German Edition)
nimmt eine Taschenlampe mit und leuchtet den Boden ab, als wir den Raum verlassen.
»Pass auf, hier liegen Scherben.«
»Ich weiß.«
Zwei Türen weiter klopft Charly an, drückt dann aber gleich die Tür zu dem Atelier auf. Jemand hat mehrere Bilder gegen die Wand gestellt und auf den Boden gelegt und scheint gleichzeitig an ihnen zu malen.
»Hey, Charly!«
Ein großer, schmächtiger Typ, der vor einer der Leinwände hockt, blickt auf. Er ist etwa zwanzig. Wir gehen näher heran.
Der Raum ist sehr viel kleiner als das Atelier von Charly und seinem Vater, aber immer noch sehr groß.
»Ist das deine Freundin?«, fragt er Charly und nickt mir freundlich zu.
»Das ist Sophie!«, sagt Charly unverbindlich. »Sophie, das ist Phil.«
Phil steht auf und legt den Pinsel zur Seite.
»Lust auf einen Kaffee?«
»Ich wollte Sophie nur mal zeigen, wer hier alles so arbeitet.«
»Echt, keinen Kaffee?« Er grinst freundlich.
Ich betrachte die mit dunklen Farben bespritzten, ungegenständlichen Bilder. Eines sieht fertig aus, aber ich bin mir nicht ganz sicher.
Phil tritt neben mich. »Wie gefällt es dir?«
»Ist es fertig?«
»Tja, weiß noch nicht. Was sagst du?«
Ich habe keine Ahnung, aber mir fehlt etwas an dem Bild.
»Es könnte … vielleicht hier …« Ich zeige auf den unteren Bereich des Bildes, wo die Farben stark ineinandergelaufen sind.
»Ja, cool, stimmt«, sagt Phil zufrieden.
Charly kommt näher und runzelt die Stirn.
»Tja, wollen wir weiter?«, fragt er, und ich spüre, dass ihm irgendetwas nicht passt.
»Hey, ich spiel am Samstag im
Bang Bang Club
. Ihr kommt, oder?«, sagt Phil. »Gegen neun.«
Er reicht mir einen Zettel.
»Ja, mal sehen. Tja dann!«, sagt Charly.
»Tschüs, Phil!«, sage ich und folge Charly, der schon fast aus der Tür ist.
Wieder auf dem Flur, stapft Charly schnell den Gang hinunter. Ich folge dem tanzenden Kegel der Taschenlampe. Was ist los?
»Alles okay?«, frage ich.
»Ja.«
»Was ist das für ein Club?« Irgendetwas hat ihn gestört, aber ich habe keine Ahnung, was.
Charly bleibt stehen. »Willst du da hin?«, fragt er skeptisch.
Ich zucke mit den Schultern. Ich frage mich, woher mir Charlys Verhalten so bekannt vorkommt. Und dann fällt es mir ein. Es erinnert mich an Steffen und die Art, wie er leicht beleidigt auf Charly reagiert hat. Ist Charly eifersüchtig? Auf Phil?
Charly klopft an eine weitere Tür, aber niemand öffnet, und die Tür ist verschlossen, als Charly sie öffnen will. Der nächste Raum ist leer, die Tür ist angelehnt, und wir gehen einfach hinein. An der Wand steht ein altes Sofa, in einer Ecke liegt Müll und ein Haufen alter Leinwände.
»Denis ist vor Kurzem ausgezogen. Weg nach New York«, erklärt Charly.
Der Raum ist hell und groß. Ich drehe mich und stelle mir vor, dass dies mein Atelier ist. Das wäre traumhaft. Hier könnte ich malen.
»Das sieht gut aus!«, sagt Charly.
»Was?«
»Das Kleid und so.«
Ich werde rot. Meine Wangen glühen, ich kann mich noch nicht mal für das Kompliment bedanken, so verwirrt und verlegen bin ich.
Charly schaut mich auch nicht an, sondern kickt einen alten Fußball, der kaum noch Luft hat, durch den Raum. Der Ball fliegt in meine Richtung, und ich kicke ihn halb zurück. Er bleibt auf halber Strecke zwischen uns liegen.
»Die Tür ist das Tor«, sagt Charly und sprintet auf den Ball zu. Ich renne an ihm vorbei, stelle mich in den Türrahmen und fange seinen Schuss genau im richtigen Moment ab. Monatelanges Training mit Max.
»Wow!«, sagt Charly und grinst.
Und auf einmal ist alles wieder wie vorher. Entspannt und gut.
Wir besuchen niemanden mehr, sondern gehen bis zum nächsten Treppenhaus, dann hinunter und nach draußen und über den Hof wieder zurück. »Sie bauen gerade eine Bar in Mitte aus«, sagt Charly und deutet auf die Holzwerkstatt.
»Kennst du hier alle?«
»Nein, nur ein paar Leute.«
Als wir zurück ins Atelier kommen, hat Charlys Vater Besuch von einem älteren Mann bekommen.
»Wir überlegen gerade, nach Berlin zu fahren«, sagt er. Die Rotweinflasche ist leer, allerdings wirkt er nicht betrunken.
Der andere Mann begrüßt uns. »Ich dachte, ich hol deinen Vater hier mal raus.« Er lächelt.
»Was ist mit euch?«, fragt Charlys Vater.
Charly sieht mich an. »Wollen wir mitfahren?«
Ich hole mein iPhone heraus. Es ist fünf. »Okay. Ich muss nur um neun zu Hause sein.«
Während sein Vater sich seinen Arbeitsoverall auszieht und die Hände
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