Street Art Love (German Edition)
und lege sie in den Gettoblaster. Genauso klingt die Musik, unsauber und schräg und ein wenig altmodisch und so, als ob man sie am besten extrem laut hören sollte.
»Bist du dir sicher?«, fragt Charly aus der Ecke, und ich lächele entschuldigend und drücke auf Stopp.
»Die CDs sind von mir«, sagt er, und ich beginne wieder zu suchen. Peter Fox, Justin Timberlake, Wax, Grand Agent, viele Soundtracks:
Wholetrain, Berlin Calling
, was alles Hip-Hop zu sein scheint, und – ich grinse in mich hinein – der Soundtrack von
Step Up
. Ich entdecke sogar eine CD von Birdy. Auf dem Cover steht sie mit ernstem Gesichtsausdruck und offenen langen Haaren in einem halblangen cremefarbenen Kleid vor einer unrenovierten Wand und erinnert mich irgendwie an mich und mein schwarzes Kleid. Vielleicht hat Charly die CD wegen des Covers gekauft, denn sie passt nicht zu den anderen. Aber eigentlich passt auch die Musik von Mumford & Sons nicht zu der Rap- und Hip-Hop-Sammlung, aber die wähle ich aus, da ich sie auch habe. Allerdings nur als Datei und auf meinem iPhone.
Charlys Vater sieht kurz auf, als die Musik einsetzt, und guckt dann zu Charly, als wolle er sagen: Mädchen !
Ja, ich bin ein Mädchen, und ich will keine harten Rap-Songs hören, hinter denen bei iTunes immer
Explicit
steht, weil sie Sex oder Gewalt oder beides enthalten. Wenn er das blöd findet, bitte!
Aber Charly lächelt nur nett und bringt mir eine Tasse Tee.
»Die CD hat mir meine Mutter geschenkt.«
Mutter. Er hat also auch eine Mutter. Na logisch. Ich habe mich gerade erst daran gewöhnt, dass er einen Vater hat. Und keinen gewöhnlichen, so viel ist klar.
[zurück]
WÄHREND MUMFORD & SONS THE CAVE SINGT, stehe ich mit Charly in seiner Ecke und betrachte seine Arbeiten. Sie gefallen mir gut. Einige sehen wie klassische Graffiti aus, bunte Schriftzüge, aber es gibt auch Figuren in Charlys Style, die in den Hintergrund eingebunden sind.
»Sind das Vorentwürfe für Wände?«, frage ich vorsichtig.
»Ja, die mach ich zur Übung.«
»Auf Holz?«
»Die von unten geben mir Restplatten, ich hab genug Material.«
Ich nehme eine der Spraydosen auf. Mich interessiert, wie das funktioniert. Charly erklärt es mir.
»Ich wechsle die Caps, also die Aufsätze der Dosen, aus. Mit den feinen Düsen male ich die Outlines, mit den Fatcaps die Fill-ins.«
»Wo bekommst du die Farbe her?«
»Internet, die bestell ich.«
»Und wie machst du das?«
Charly sieht mich schräg von der Seite an, als ob er nicht sicher ist, ob mich das wirklich interessiert. Aber das tut es.
»Ich meine, das sollte ich wissen, für unser Referat, oder?«
Er hebt eine Spraydose mit schwarzer Farbe auf, wechselt die Düse aus und legt sie mir in die Hand, dann holt er ein großes Holzbrett.
»Probier es einfach selber mal.«
»Denk an die Maske!«, ruft Charlys Vater.
Charly zuckt mit den Achseln und reicht mir eine Art Gasmaske.
»Zieh die über. Ist besser.«
»Und du?«
»Ich geh auf Abstand.«
Ich ziehe die Maske über und denke kurz daran, dass ich eine Stunde im Bad zugebracht habe, um jetzt mit einer Gasmaske meine Frisur zu zerstören und mein sorgfältig geschminktes Gesicht abzudecken. So viel zu dem Plan, mich mal schick zu machen.
Ich konzentriere mich. Das Brett ist etwa einen Meter hoch und mehr als doppelt so lang. Was könnte ich darauf zeichnen, malen, sprayen?
Ich entscheide mich für ein Wort. Kunst. Ich spraye die Umrisse von dicken Großbuchstaben und verschnörkele sie – in meinem eigenen Style. Und es funktioniert phantastisch. Der Farbstrahl ist fein und ganz präzise. Es ist fast, als ob man mit einem Pinsel zeichnen würde. Ich reiße mir die Maske vom Gesicht, um es mir genau anzusehen.
»Das geht ja toll!«
Charly grinst stolz. »Montana Black Cans sind die besten. Richtig gut fürs Bombing.«
»Bombing?«
»Schnelles Sprayen.«
»Du meinst …«
»Genau.«
Wir grinsen uns an.
»Und?«, fragt Charly. »Hast du Lust, mal mitzugehen?«
»Zum Sprayen?«
»Warum nicht?«
In meinem Magen beginnt ein leichtes Flimmern. »Das wäre cool.«
Wir haben leise geredet, und ich bin mir nicht sicher, wie viel Charlys Vater vom Sprayen wissen darf. Die CD ist durchgelaufen, und es ist seltsam still im Raum. Jetzt fällt noch deutlicher auf, dass wir hier nicht allein sind.
»Soll ich dir ein paar der anderen Ateliers zeigen?«, fragt Charly, und ich nicke. Er sagt kurz seinem Vater Bescheid, der kaum von seiner Arbeit aufsieht.
Charly
Weitere Kostenlose Bücher