Streiflichter aus Amerika
auf Vorstrafen wegen Drogenmißbrauchs hin zu überprüfen, der sich für einen Aushilfsjob bewarb und Briefe sortieren wollte. Offenbar tut sie das routinemäßig – aber nur bei Drogengeschichten. Hätte mein Freund vor fünfundzwanzig Jahren seine Großmutter umgebracht und seine Schwester vergewaltigt, hätte er den Job sicher gekriegt.
Es kommt aber noch dicker. Der Staat kann Ihr Haus konfiszieren, wenn darin ein Drogenvergehen begangen wurde, selbst wenn Sie davon nichts wußten. Die Zeitschrift Atlantic Monthly berichtete vor kurzem, daß sich in Connecticut eine Staatsanwältin namens Leslie
C. Ohta einen Namen machte, indem sie den Besitz beinahe eines jeden einziehen ließ, der auch nur am Rande mit einem Drogendelikt zu tun gehabt hatte – unter anderem bestrafte sie so ein über achtzig Jahre altes Ehepaar, dessen Enkel beim Marihuanadealen ertappt worden war. Das Paar hatte nicht etwa mitgedealt (lassen Sie mich wiederholen: Sie waren beide weit über achtzig), sondern natürlich keine Ahnung, daß der Enkel Gras im Haus hatte. Trotzdem verloren die alten Leutchen ihr Haus.
(Kurz danach wurde Ohtas eigener achtzehnjähriger Sohn verhaftet, weil er LSD aus dem Auto seiner Mutter und angeblich auch Drogen in ihrem Haus verkauft hatte. Und hat die liebenswerte Ms. Ohta ihr Haus und ihr Auto eingebüßt? Von wegen! Sie wurde nur auf einen anderen Posten versetzt.)
Das Traurigste an dieser fanatischen Rachsucht ist, daß sie absolut nichts bewirkt. Die USA geben im Jahr fünfzig Milliarden Dollar für den Kampf gegen Drogen aus, und trotzdem werden immer mehr konsumiert. Hilflos mit ihrem Latein am Ende, sorgt die Regierung für immer drakonischere Gesetze, und wir befinden uns nun in der haarsträubenden Situation, daß der Sprecher des Repräsentantenhauses allen Ernstes vorschlagen kann, Menschen hinzurichten – sie auf eine Bahre zu schnallen und abzumurksen –, weil sie das pflanzliche Äquivalent von zwei Flaschen Wodka besitzen. Und keiner äußert auch nur die zaghaftesten Bedenken.
Ich dagegen habe gleich zwei Problemlösungsvorschläge parat. Erstens würde ich es zu einer strafbaren Handlung erklären, Newt Gingrich zu sein. Das würde das Drogenproblem nicht verringern, aber mir persönlich ginge es gleich viel besser. Dann würde ich den Großteil der fünfzig Milliarden Dollar nehmen und sie für Rehabilitation und Prävention ausgeben.
Ich würde zum Beispiel die Kids in Bussen zu meinem alten Schulkameraden in Iowa karren. Nach einem Blick auf ihn wären sie garantiert so geschockt, daß sie Drogen gar nicht mehr erst probieren würden, und es wäre ganz gewiß weniger brutal und sinnlos, als sie alle für den Rest ihres Lebens einzuknasten.
Warum niemand mehr zu Fuß geht
Was ich Ihnen jetzt erzähle, bleibt strikt unter uns. Versprochen? Also: Nicht lange, nachdem wir hierhergezogen waren, haben wir die Leute neben uns zum Abendessen eingeladen, und – ich schwöre, es stimmt! – sie sind mit dem Auto vorgefahren.
Ich war total verblüfft und weiß noch, daß ich mich scherzhaft erkundigte, ob sie für den Weg zum Supermarkt ein Leichtflugzeug benutzten. (Das hatte aber nur verständnislose Blicke zur Folge, und in Gedanken haben sie sicher meinen Namen von allen zukünftigen Einladungslisten gestrichen.) Heute weiß ich, es war gar nicht komisch, daß sie die weniger als hundert Meter bis zu uns mit dem Auto zurücklegten. In den Vereinigten Staaten geht nämlich niemand mehr zu Fuß.
Ein Forscher an der University of California in Berkeley untersuchte kürzlich die Laufgewohnheiten der Nation und kam zu dem Schluß, daß fünfundsechzig Prozent der Bewohner in den Vereinigten Staaten eine »im wesentlichen« sitzende und fünfunddreißig eine »vollkommen« sitzende Lebensweise haben. Der Durchschnittsbürger geht weniger als einhundertundzwanzig Kilometer im Jahr zu Fuß – etwas mehr als zwei Kilometer in der Woche, kaum dreihundert Meter am Tag. Trägheit ist auch mir nicht fremd, aber das finde ich doch entsetzlich wenig. Da reiße ich schon mehr Kilometer herunter, wenn ich nur die Fernbedienung für die Glotze suche.
Als wir in die USA zogen, wollten wir gern in eine Stadt, in der die Läden in Laufweite waren. Hanover, wo wir uns nun niedergelassen haben, ist eine angenehm gemächliche, typische kleine Universitätsstadt in Neuengland, und man hat alles am Ort. Eine große
Parkanlage, eine altmodische Hauptstraße, hübsche Universitätsgebäude mit weiten
Weitere Kostenlose Bücher