Streiflichter aus Amerika
Nichtidentifizierbares und etwas Verkohltes befanden. Ich bin ziemlich überzeugt, wenn man einen Luffaschwamm schön langsam gebacken und ausreichend mit Ketchup garniert hätte, hätte er gesagt: »He, das ist aber sehr lecker!« Kurzum: Er machte sich nichts aus gutem Essen, und meine Mutter arbeitete jahrelang hart, um ihn nie zu enttäuschen.
Aber o Wunder! An Thanksgiving zog sie alle Register ihres offenbar doch vorhandenen Könnens und übertraf sich selbst. Dann rief sie uns zu Tisch, wo unsere überraschten Gaumen ein aufwendiges, luxuriöses Mahl erwartete – ein riesiger, fettglänzender Truthahn, Körbe voller Maisbrot und warmer Weizenbrötchen, Gemüse, das man wiedererkannte, eine Sauciere mit Cranberry-Soße, eine Schüssel duftig lockeres Kartoffelpüree, eine Platte praller Würstchen und vieles andere mehr.
Wir schlugen zu, als hätten wir ein Jahr lang nichts gegessen (was wir im Grunde ja auch nicht hatten), und dann präsentierte meine Mutter die Krönung des Ganzen – einen goldenen, flockig knusprigen Kürbiskuchen, auf dem sich ein Riesenberg Schlagsahne türmte. Köstlich! Himmlisch!
Seitdem erfüllt mich dieser allerherrlichste der Feiertage immer mit tiefer Freude und Dankbarkeit, denn – damit das ein für allemal klar ist – Thanksgiving ist ein formidables Fest.
Die meisten US-Bürger glauben meines Wissens, daß es immer am letzten Donnerstag im November abgehalten wurde, und zwar seit Urzeiten – na, zumindest so lange, wie man in unserem jungen Land von Urzeiten sprechen kann.
Es stimmt ja auch, daß die Pilgerväter 1621 ein berühmtes Gelage veranstalteten, um den ortsansässigen Indianern zu danken, daß sie ihnen durch das erste schwere Jahr geholfen und ihnen unter anderem gezeigt hatten, wie man Popcorn macht (wofür ich selbst heute noch dankbar bin). Aber es gibt keine Aufzeichnungen darüber, wann der Schmaus stattfand. Angesichts des Klimas in Neuengland war es wahrscheinlich nicht Ende November. In den folgenden zweihundertundzweiundvierzig Jahren wurde Thanksgiving als Ereignis kaum erwähnt. 1863 wurde die erste offizielle Feier abgehalten – und dann ausgerechnet im August. Im nächsten Jahr verschob Präsident Abraham Lincoln es eigenmächtig auf den letzten Donnerstag im November, und heute scheint sich keiner mehr daran zu erinnern, warum ein Donnerstag und warum so spät im Jahr. Doch dabei ist es geblieben.
Thanksgiving ist aus vielerlei Gründen wunderbar. Zunächst einmal hat es den löblichen Effekt, Weihnachten aufzuschieben. Während heute in vielen europäischen Ländern die Weihnachtseinkaufssaison Ende August angepfiffen wird, beginnt die Hysterie hier traditionellerweise erst am letzten Wochenende im November.
Darüber hinaus ist Thanksgiving immer noch ein reiner Feiertag, weitgehend unverdorben vom Kommerz. Man muß keine Grußkarten verschicken, keinen Baum schmücken, keine hektischen Jagden durch Schubladen und Schränke nach den Dekorationen veranstalten. An Thanksgiving sitzt man nur am Tisch und versucht, seinem Magen die Form eines Wasserballs zu verleihen. Wenn man das geschafft hat, setzt man sich vor den Fernseher und schaut ein Footballmatch an. Ein solcher Festtag ist natürlich so recht nach meinem Geschmack.
Der hübscheste und gewiß edelste Aspekt von Thanksgiving ist, daß es einem offiziell die feierliche Gelegenheit bietet, für die Dinge zu danken, für die man dankbar sein sollte. Bei mir persönlich sind das nicht wenige. Ich habe eine Frau und Kinder, die ich wahnsinnig liebe. Ich bin gesund und immer noch im Vollbesitz der meisten meiner geistigen Kräfte (wenn auch nicht immer gleichzeitig). Ich lebe in einer Zeit des Friedens und des Wohlstands, und nie wieder wird Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten sein. Für all das bin ich wirklich dankbar, und ich freue mich, daß ich das hier einmal in aller Form zum Ausdruck bringen kann.
Die einzige Schattenseite ist, daß unausweichlich die Vorweihnachtszeit anbricht, wenn Thanksgiving erst einmal vorüber ist. Jeden Tag – jeden Moment – kann nun mein liebes Weib neben mich treten und verkünden, die Zeit sei gekommen, daß ich meinen Blähbauch bewege und den Weihnachtsschmuck heraushole. Diesen Moment fürchte ich aus gutem Grund. Denn er bedeutet körperliche Anstrengung, mit angeschlossenen Stromkabeln hantieren und zu den peniblen Regieanweisungen besagter besserer Hälfte wackelige Leitern hochklettern, mich durch Dachbodenluken quetschen –
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