Streiflichter aus Amerika
ins Haus, rappelt sich wieder auf und drängt weiter. Während einem die Zweige in die Augen stechen, die Nadeln Wangen und Zahnfleisch durchlöchern und das Harz es irgendwie schafft, einem hinterrücks die Nase hochzulaufen, tapst man durchs Zimmer, haut Bilder von den Wänden, räumt Tische ab und kippt Stühle um. Die Gattin, die eben noch so mysteriös unauffindbar war, ist nun überall auf einmal und dirigiert einen mit verwirrenden, energischen Zurufen: »Paß auf das Dingsda auf! Daher nicht – geh daher! Nach links! Nein, nicht von dir aus links – von mir aus!« Schließlich sagt sie in sanfterem Ton: »Oooh, ist dir was passiert, Schatz? Hast du die Stufen nicht gesehen?« Wenn man dann das Wohnzimmer erreicht hat, schaut nicht nur der Baum aus, als habe ihn saurer Regen entblättert, sondern man selbst auch.
Und genau in diesem Moment fällt einem ein, daß man keine Ahnung hat, wo der Weihnachtsbaumständer ist. Seufzend stapft man zum Eisenwarenladen in der Stadt und kauft einen neuen, wohlwissend, daß in den nächsten drei Wochen alle Weihnachtsbaumständer, die man je in seinem Leben erworben hat, spontan wieder auftauchen, meist, indem sie einem vom oberen Ablagebord eines Schranks aufs Haupt fallen, während man auf dem Bodenfach herumstöbert. Manchmal lauert einem aber auch einer mitten in einem dunklen Zimmer oder oben an der Flurtreppe auf. Wenn man es nicht schon weiß, kapiert man es spätestens jetzt: Weihnachtsbaumständer sind ein Werk des Satans, und sie wollen einen tot und nicht lebendig. Da man schon einmal im Eisenwarenladen ist, kauft man zwei neue Lichterketten, die auch nicht funktionieren werden.
An Leib und Seele ermattet, schafft man es endlich, den Baum aufzustellen, mit allerlei Flitterkram zu behängen und zum Leuchten zu bringen. Gebückt wie der Glöckner von Notre Dame steht man davor und betrachtet ihn mit verhaltener Abscheu.
»Oh, wie hübsch!« schreit die Gattin, schlägt die Hände verzückt unterm Kinn zusammen und verkündet: »Jetzt laß uns draußen den Schmuck anbringen. Dieses Jahr habe ich uns was besonders Schönes gegönnt – einen Weihnachtsmann in Lebensgröße für den Schornstein. Hol mal die Zwölfmeterleiter, und ich pack die Kiste aus. Ach, was macht das Spaß!« Und sie hopst los.
Sie können mich nun mit gutem Grund fragen: Warum machen Sie das alles immer mit? Warum klettern Sie auf den Dachboden, wenn Sie doch wissen, daß der Schmuck nicht dort liegt? Warum futzeln Sie die Lichterketten auseinander, wenn sie nie im Leben funktionieren? Und meine Antwort darauf lautet: Es gehört zum Ritual. Ohne das wäre Weihnachten nicht Weihnachten.
Und deshalb habe ich mich entschlossen, jetzt anzufangen, obwohl Mrs. Bryson noch keine Order erteilt hat. Es gibt Dinge im Leben, die man tun muß, ob man will oder nicht.
Falls Sie mich gleich für irgendwas brauchen, ich hänge in der Dachluke.
Die Verschwendergeneration
In einer der faszinierendsten Statistiken, die ich mir seit langem zu Gemüte geführt habe, steht, daß fünf Prozent allen Stroms in den Vereinigten Staaten von Computern verbraucht werden, die nachts anbleiben.
Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber ich kann Ihnen sagen, daß ich bei zahlreichen Gelegenheiten in allen möglichen Städten spätabends aus Hotelzimmerfenstern geschaut habe und mir aufgefallen ist, daß in sämtlichen Bürogebäuden ringsum alle Lichter brannten und die Computerbildschirme tatsächlich flackerten.
Warum stellen die Amerikaner die Dinger nicht ab? Aus dem gleichen Grund wahrscheinlich, warum sie den Motor laufen lassen, wenn sie mal schnell in ein Geschäft gehen, oder ihre Eigenheime in Flutlicht tauchen oder die Zentralheizung bis zu einer Stufe hochdrehen und laufen lassen, bei der ein finnischer Saunabesitzer passen würde – in einem Satz: weil Strom, Benzin und andere Energiequellen hier relativ billig sind und das schon so lange, daß niemand mehr auf die Idee kommt, sparsam damit umzugehen.
Warum soll man schließlich das lästige Ärgernis auf sich nehmen, morgens zwanzig Sekunden zu warten, daß der Computer warm wird, wenn man ihn die ganze Nacht anlassen kann und er morgens nach einer Sekunde arbeitsbereit ist?
In diesem Land verschwenden wir die natürlichen Ressourcen in einem schrecklichen – nein, haarsträubenden Ausmaß. Der durchschnittliche Amerikaner verbraucht im Laufe seines Lebens doppelt soviel Energie wie der durchschnittliche Europäer. Wir machen zwar nur fünf Prozent
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