Striptease: Roman (German Edition)
auszuziehen. Deshalb zog sie einfach eine graue Jogginghose und ein weites T-Shirt über den roten Teddy und den Tanga. Sie raffte das Haar zu einem losen Pferdeschwanz zusammen, verstaute das Trinkgeld in ihrer Handtasche und stopfte die Stöckelschuhe in einen Plastiksack. Sie betrachtete das Gesicht mit den tief eingesunkenen Augen im Spiegel und sagte: »Du bist wirklich eine ganz heiße Nummer.«
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann«, bot Urbana an, »dann sag’s nur.«
»Würdest du auch Marvela die Beine brechen?«
»Fahr nach Hause, Honey. Schlaf dich aus.«
»Schlaf? Was ist das?« Erin verabschiedete sich und öffnete die Garderobentür. Monique Sr. stand im halbdunklen Flur und mühte sich ab, einen gerissenen Strumpfhalter zu reparieren.
»Ausgerechnet heute«, sagte sie. »Dabei sitzt John Chancellor an Tisch sieben.«
»Tatsächlich?« sagte Erin. »Ich bin auch ein Brokaw-Fan.«
Erin begab sich nach Hause und mixte sich einen Martini, legte Tom Petty ins Kassettendeck ein und zog sich aus. Während sie sich auf dem Bett ausstreckte, betrachtete sie vertraute hagere Gesichter an der Wand – Poster von legendären Rockstars, darunter ein paar, die sogar noch am Leben waren. Die Poster waren ein Geschenk von einem von Erins glühendsten Verehrern, einem Konzertagenten. Er war so wild entschlossen, auf sie Eindruck zu machen, daß er sogar einmal ein Autogramm von Peter Frampton gefälscht hatte. Das war schon nicht mehr lustig, sondern geradezu tragisch.
Erins Wohnung war nur spärlich eingerichtet, denn es war eine vorübergehende Bleibe. Sie weigerte sich, Geld für etwas auszugeben, das nicht aus Kunststoff bestand und nicht an einem einzigen Tag von einer alleinstehenden Frau schnell eingepackt werden konnte. Selbst die Stereoanlage, Erins einziger Luxus, ließ sich in vier leichtgewichtige Kästen zerlegen.
Nichts band ihre Seele an diesen Ort, nicht einmal Erinnerungen. Die drei Männer, die das Schlafzimmer kennengelernt hatten, waren genauso leicht zu vergessen wie der billige Raumschmuck. Einer von ihnen hatte seine Hose bereits ausgezogen, bevor Erin ihm klarmachen konnte, daß er verschwinden solle. Sie hatte sich gerade »60 Minutes« angesehen, ihre bevorzugte TV-Sendung, als der junge Besucher meinte, daß ihm diese Show gar nicht gefalle, weil »dort zuviel geredet wird«. Erin befahl ihm, seine Hose zuzuknöpfen und sich aus dem Staub zu machen. Nie wieder würde sie sich mit einem Baseballspieler verabreden – zumindest mit keinem ohne Collegeabschluß.
Sie schob sich ein Kissen unter den Kopf. Ich führe wirklich ein tolles Leben, dachte sie kritisch.
Das Telefon stand feuerrot auf dem Nachttisch. Es bot so viele Möglichkeiten. Sollte sie Mom anrufen und sich bei ihr Geld für weitere Anwälte leihen? Vielleicht an dem Tag, an dem Biscayne Bay zufriert.
Wie wäre es mit einem Anruf bei García, um ihm alles zu erzählen? Erin hatte Zweifel, daß der Detective durch eine Schilderung ihrer persönlichen Probleme zu Tränen gerührt wäre. Er würde statt dessen großes Interesse für die seltsamen Details von Jerry Killians Erpressungsplan zeigen. Ein Mord mit politischen Elementen wäre eine willkommene Abwechslung zu den Familien- und Drogenmorden.
Vielleicht war das der Anruf, den sie endlich erledigen sollte, dachte Erin. Dann hätte sie es hinter sich.
Sie überlegte es sich anders und stellte das leere Martiniglas auf den Fußboden. Jimi Hendrix hing über dem Kopfbrett und bezüngelte seine linkshändige Stratocaster. Gestorben mit siebenundzwanzig. Aber nicht ich, Freundchen, dachte Erin.
Sie nahm das Telefon vom Nachttisch, wählte die Nummer in Deerfield Beach, schloß die Augen und dachte bitte, bitte, bitte.
Angela hob nach dem dritten Klingeln ab.
»Baby?«
»Mami?«
»Ich bin’s. Habe ich dich geweckt?«
»Wo bist du, Mami?«
»Ist dein Vater da? Wenn ja, dann sprich leise.«
»Kannst du uns nicht besuchen? Wir fahren jeden Tag ins Krankenhaus.«
»Welches Krankenhaus, Baby?«
»Immer in andere. Daddy verkleidet sich dafür wie Doktor Shaw.«
»O Gott«, sagte Erin.
»Dann setzt er mich in einen Rollstuhl und schiebt mich ganz schnell. Kannst du nicht herkommen? Wir rennen dann – du darfst auch mal schieben.«
»Angela, hör mir mal zu.«
»Ich glaube, ich muß aufhören. Ich hab dich lieb, Mami.«
»Angela …«
Eine längere Pause. Atmen. Dann ein feuchtes Husten.
»Angie?«
Darrell Grant lachte, schrill und aufgedreht von Speed.
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