Strom der Sehnsucht
so leise wie möglich in den Sattel und reckte sich, um es zu öffnen. Es schwang sich weit auf, und die verwitterten Pfähle knarrten laut durch die Nacht.
Die Rinder brauchten keine weitere Einladung. Angelines Stute gelang es gerade noch, ihnen auszuweichen, bevor sie durch die Öffnung strömten. Angeline ritt neben den Kühen her und trieb sie mit heiseren Schreien in die gewünschte Richtung. Als errate sie Angelines Absicht, lenkte die Stute das Leittier der Herde zur rechten Seite des Gebäudes. Die Rinder schossen in schnellem Lauf um die Ecke und brüllten ununterbrochen mit hervorquellenden Augen. Der Boden zitterte unter ihren Hufen. Das Vieh lief direkt auf die Rinne zu, in der Don Pedro und seine Männer lagen.
Beim Reiten ergriff plötzlich eine überbordende Hochstimmung von Angeline Besitz. Sie wünschte, sie hätte Rolf und die anderen warnen können, doch auch so bestand wenig Zweifel, daß sie die Chance nutzen würden, die sie ihnen verschaffte. Wenige Meter vor dem Graben zügelte sie ihr Pferd und wich dem nachdrängenden Vieh aus. Erst jetzt bemerkte sie das Keuchen und den fliegenden Atem der braven Stute und spürte, wie das Tier zitterte. Sie stieg ab und klopfte ihm sacht den Hals.
Da Angeline mit dem Pferd beschäftigt war, bemerkte sie nichts von der aufkommenden Panik bei den Spaniern, obwohl sie sie schreien hörte. Schließlich drehte sie sich um und schaute zu, wie die Kühe auf der steilen Böschung strauchelten, wie sie versuchten, den Graben zu überspringen, und mit Gebrüll hineinstürzten. Der Spanier und seine Leute rannten fluchend in abergläubischer Furcht aus ihrer Deckung, die Pistolen blitzten auf, als sie durch den Regen auf den dunklen Hinterhalt der Zedern zuliefen.
Die beiden Haufen trafen aufeinander wie Hammer und Amboß und kämpften mit Geschrei, Fluchen und Stöhnen im Handgemenge, als Pistolen und Flinten abgeschossen waren und keine Zeit zum Laden blieb. Die Männer bewegten sich im triefenden Lampenlicht hin und her, das auf Klingen von tödlicher Schärfe und auf Gewehrkolben fiel, die als Keulen benutzt wurden. Das Scharmützel war kurz, aber blutig. Nach wenigen Minuten rannten die Kühe muhend in die Nacht, bis auf einige, die sich verletzt hatten und brüllend im Graben lagen. Der besiegte Spanier wurde mit seinen Männern, soweit sie noch am Leben waren, von Kopf bis Fuß verschnürt und auf die verhältnismäßig trockene Veranda geschleppt.
Rolf war barhäuptig. Seine Haare glänzten feucht im Licht der Lampen. Er ging auf die weißuniformierte Gestalt zu, die im Hof lag, kniete nieder und drehte den Körper sacht auf den Rücken. Oskar starrte mit blicklosen Augen ins Leere. Das sandfarbene Haar fiel ihm glatt aus dem schmalen Jungengesicht und triefte von kaltem Regenwasser. Der Verband um das verletzte Handgelenk war schmutzigbraun, den schlanken Musikerhänden war die Pistole entglitten. Auf der Brust zeigte sich seine Uniform nicht mehr weiß, sondern glänzte feucht und rot.
»Heil dir, junger Held«, flüsterte Rolf rauh, fast unhörbar. »Du gibst dein Leben zum Ruhm des Vaterlandes für eitle Taten und Menschen, die nichts taugen, aber nicht für die Liebe.«
»Er hat dich geliebt«, sagte Angeline und trat auf Rolf zu.
Er starrte sie an, doch seine türkisblauen Augen waren nach innen gerichtet, als klage er sich selbst an. »Ich hätte sagen sollen >die Liebe einer Frau<. Heil auch dir, o unser Schutzengel, der du naß bist und müde und schlammbedeckt, sei mir tausendmal willkommen. Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«
»Ich wollte dich warnen, aber es war zu spät.« Ihre Augen waren blind vor Tränen, und es war ihr unerträglich, die Leiche des jungen Mannes länger anzusehen, die zu ihren Füßen lag. Dennoch fühlte sie sich zufrieden.
»Und waren es deine süßen Töne, die wir vernahmen, als du, göttergleich Rache übend, auf Zeus’ rotgehörnten Rindern rittest?«
»Ich tat, was ich konnte.« Sie blickte sich um. Jim Bowies lange Gestalt lehnte am Türpfosten und hielt eine Flinte im Arm; er bewachte die gefangenen Räuber. An der Seite nahm sie flüchtig Os-kars Zwillingsbruder wahr, der sich wutentbrannt mit gezogener Pistole auf Don Pedro stürzte; sie sah Gustav und Leopold zu ihm laufen, ihm in den Arm fallen und ruhig auf ihn einreden. Meyer verband einem Mann, der ohne Hemd und Jacke auf den Verandastufen saß, eine Fleischwunde am Oberarm. Es dauerte einen Augenblick, bis sie in dem Verwundeten Andre
Weitere Kostenlose Bücher