Strom der Sehnsucht
Angeline«, murmelte Andre. »Ich hatte keine Wahl.«
Dann hob er sie auf und stöhnte dabei, da ihn sein verletzter Arm schmerzte. Er schwankte ein wenig, so daß sie fast gefallen wäre und sich an seinem Kragen festklammern mußte. Andre schwang sich mit seiner Last in den Sattel und setzte Angeline vor sich, wo sie steif und willenlos die Wange an seine Brust lehnte. Er trieb das Pferd zu einem müden Trab an. Angeline schloß bei dieser schaukelnden Bewegung ihre bleiernen Lider und schlief ein.
Die Morgensonne floß ins Zimmer wie goldener Sirup. Mit ihrer Wärme hatte sie schon die Kühle der Nacht vertrieben, obwohl unter dem Marmorsims auch fröhlich und tröstlich ein kleines Feuer brannte. Angeline lag mitten in einem Himmelbett aus Rosenholz mit geschnitztem Blattwerk. Neben ihr stand für ein Frühstück im Bett ein auf Hochglanz poliertes Silbertablett auf einem Mahagonitischchen; eine Kakaokanne aus Porzellan mit Rosenmuster, aus der der Wohlgeruch des Getränks aufstieg, eine Tasse und Untertasse, ein Teller mit frischen Croissants, über die eine Serviette gebreitet war, und ein kleiner Strauß Narzissen in einer silbernen Vase standen darauf. Der Duft von Blumen und Kakao hing im Raum und reizte ihre Sinne.
Angeline nahm die Kanne und schenkte sich eine Tasse ein. Noch nie im Leben war sie so verhätschelt worden, nicht einmal, wenn sie krank war. Seit nunmehr drei Tagen hatte sie nicht aufstehen dürfen. Man hatte sie mit den neuesten Modejournalen aus Paris und mit Romanen in marmoriertem Einband versorgt und ihr lauter Häppchen und Leckerbissen gereicht, um ihren Appetit anzuregen.
Anfangs war sie so müde gewesen, daß sie sich dem wunderbar beruhigenden Luxus überlassen hatte. Sie war sogar zu erschöpft gewesen, um sich dagegen zu wehren, von Helene Delacroix’ Zofe wie ein Baby gebadet und frisiert zu werden. Ihre Mattigkeit hatte auch ihr Gutes: Sie konnte sich kaum an die lange Reise nach New Orleans erinnern. Als die Wirkung des Kopfschmerzmittels verflogen war, waren sie schon zwölf Wegstunden vom Niemandsland entfernt, und Angeline lag in einer Kutsche, die Andre irgendwie hatte besorgen können. Er hatte es rundweg abgelehnt, wieder umzukehren, und ihr war es so schlechtgegangen, daß sie bei dem Versuch, aus dem Wagen zu steigen, beinahe umgefallen wäre, wenn Andre sie nicht aufgefangen hätte.
Sie waren trotz Andres rotumränderter Augen und seiner Blässe die ganze Nacht durch gefahren. Angeline hatte sich ein wenig von ihrer Übelkeit erholt, war aber so niedergeschlagen gewesen, daß ihr ganz gleich war, wohin sie ging und mit wem.
Sie erinnerte sich jedoch noch genau, wie sie nach einigen Tagen im Stadthaus der Familie Delacroix ankamen und man sie zu Madame Helene hineinführte, zu Andres Mutter. Angeline war betroffen von der schockierten, entsetzten Miene auf dem Gesicht dieser Modedame. Was sie erschreckte, war offenbar weniger der Verstoß gegen die Konventionen als das Aussehen von Angeline, die durchnäßt in ihrem abgetragenen grauen Kleid, ihrem zerknitterten Mantel und mit zerzausten Haaren dastand. Und Andre bot einen ebenso schmutzigen und ungepflegten Aufzug. Was, wenn sie so von einem Bekannten erblickt worden waren? Oder wenn man sie in einem so scheußlichen Vehikel hatte ankommen sehen? Tiens, nicht auszudenken! Erst dann bemerkte Madame Delacroix, daß ihr einziger Sohn den Arm in der Schlinge trug, und fragte, wie sie hierherkamen, noch dazu in diesem Zustand.
Andre war während der Reise die Aufmerksamkeit in Person gewesen. Er hatte alles getan, um für Angelines Bequemlichkeit zu sorgen, alles, bis auf das eine: zu McCullough zurückzukehren. Ihr Ärger hatte ihn nicht aus der Fassung gebracht. Er bedauerte, blieb aber fest. Weder Tränen noch Drohungen hatten ihn davon abbringen können, zu tun, was er für richtig hielt.
Zuweilen war sie ihm beinahe dankbar, daß er die Sache in die Hand genommen hatte. Zwar verzieh sie ihm nicht, sie betäubt zu haben, aber ihr war die Entscheidung so schwergefallen, daß sie vor Unentschlossenheit wie gelähmt war. Es war das Klügste, Andres Vorschlag anzunehmen, und doch zweifelte Angeline daran, daß sie sich dazu hätte durchringen und Rolf verlassen können. Es ist wahr, dachte sie, er hat mich fortgeschickt und kein Wort gesagt, wann er zurückkommt. Aber er hat auch nicht gesagt, daß er nicht zurückkommt.
Es klopfte leise an die Tür, und sie seufzte erleichtert auf, daß eine Ablenkung von ihren
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