Strom der Sehnsucht
ablehnen konnte. Die Zofe, eine Schwarze mit zierlicher Figur und strahlendem Lächeln, die eine fast ebenso prächtige
Haube wie ihre Herrin aufgesetzt hatte, trat heran und legte die Kleider aus Seide, Samt, Satin und Tüll in allen Regenbogenfarben aufs Bett. Erst jetzt schaute sich Angeline den Staat genau an und rief überrascht: »So viel?«
»Ja, leider«, erwiderte Helene mit bedauerndem Lächeln. »Ich bin ein wenig embonpoint diese Saison. Ich habe mir die Sachen letztes Jahr in Paris machen lassen, und wie ich mich auch abmühe, ich kann mich nicht mehr hineinzwängen. Ceci würdigt sie keines Blicks, wenn Sie also...«
Ceci war Andres Schwester, und Angeline war mit ihr befreundet, obwohl sie ein, zwei Jahre jünger war. »Ist sie da?«
»Nein. Sieht ihr das nicht ähnlich? Sie hat zwei Wochen vor unserem Aufbruch in die Stadt die Windpocken bekommen. Was bin ich erschrocken! Es hätten ja auch die schwarzen Pocken sein können, wissen Sie. Sie bleibt auf der Plantage und leistet ihrem Vater Gesellschaft, bis die Narben verheilt sind. Ich fürchte, auf ihre Loge in der Oper muß sie bis nächstes Jahr warten. Doch genug davon. Probieren Sie das Apfelgrüne. Es steht Ihnen bestimmt ganz reizend, und wir brauchen zum Ändern nur ein paar Stiche.«
Diese Einschätzung erwies sich zwar als ziemlich optimistisch, aber Angeline konnte innerhalb von vierundzwanzig Stunden ihr Zimmer verlassen. In ihrem schlichten zimtfarbenen Spenzer über einem apfelgrünen Seidenkleid mit hoher Taille und herzförmigem Ausschnitt sah sie aus wie eine Königin. Sie hatte sich das Haar vorne schneiden lassen, so daß sich um ihr zartes Gesicht modische Löckchen ringelten. An den Füßen trug sie Schuhe aus Handschuhleder mit Samtschleifen in Zimt. In einem der Räume im ersten Stock war eine Näherin damit beschäftigt, die anderen drei Kostüme für sie herzurichten, die ihr Helene aufgedrängt hatte, eines in Lavendel und tiefem Königsblau, eines in Rose und einen Mantel, eine Redingote, aus gelbgestreiftem Faille.
Angeline erkundigte sich, wo Madame Delacroix sei, und erhielt zur Antwort, sie halte sich im Frühstückszimmer auf. Dort erledigte sie gewöhnlich ihre Korrespondenz und führte die Haushaltsbücher. Angeline klopfte und trat mit übertriebenem Schwung ihrer Röcke ein.
Madame Delacroix sah vom Schreibpult auf und stellte die Feder, die sie gerade in der Hand hielt, in ein Tintenfaß aus poliertem Onyx. Ihr Sohn, der hinter ihr stand, schaute auch auf und lächelte leise.
»Reizend«, sagte Helene, »findest du nicht auch, Andre?«
»Hübsch«, erwiderte er und räusperte sich, da seine Stimme auf einmal belegt war.
»Ich danke Ihnen«, entgegnete Angeline fröhlich, als sie ihre Gelassenheit wiedergewann. »Was stecken Sie beide da denn die Köpfe zusammen?«
»Eine gute Frage.« Helene warf ihrem Sohn einen flüchtigen Blick zu. »Es betrifft Sie, chere. Ich wollte Sie noch um Ihren Segen bitten, bevor ich den Brief abschicke, und habe mich mit Andre über den Wortlaut beraten. Sehen Sie, ich schreibe an Ihre Tante, um ihr Ihre sichere Rückkehr mitzuteilen.«
»Das... ist sehr freundlich von Ihnen, aber, wie ich fürchte, vergebliche Liebesmüh.«
»Das hat Andre auch gesagt. Ich kann es aber nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, sie im dunkeln zu lassen.«
Hoffte Madame Delacroix, daß Tante Berthe kam und Angeline aus dem Haus holte, bevor sie Andres Überredungskünsten erlag? Sie konnte es ihr nicht verdenken. Dennoch war sie verletzt, denn schließlich hatte es eine Zeit gegeben, wo Andres Mutter mit der Partie vollkommen einverstanden war.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten«, murmelte sie gequält.
»Chere, machen Sie doch nicht so ein Gesicht!« rief Madame Delacroix. »Ich würde mich gar nicht wundern, wenn Berthe de Buys nächste Woche in die Stadt käme. Sie werden sehen.«
Nichts dergleichen geschah. Um Angeline von der gleichgültigen Haltung ihrer Tante abzulenken, besuchte Madame Delacroix mit ihr die Läden. Sie spazierten den Uferdamm entlang und um die Place d’Armes vor der St. Louis Kirche. Helene begrüßte Bekannte und blieb ab und zu stehen, um ihre junge Freundin vorzustellen. Ruhig und ungerührt reagierte sie auf plötzliches Erstaunen und gestammelte Antworten.
Am Sonntagabend besuchten sie das Theatre d’Orleans, wo in ei-ner Gastvorstellung von Rossinis neuer komischer Oper »Der Barbier von Sevilla« eine Pariser Diva Furore machte, deren Stimmumfang
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