Strom der Sehnsucht
Wenn... wenn Sie ein Kind bekommen?«
Sie hob den Kopf und errötete leicht. »Ja, was dann?«
»Ich werde ihm um Ihretwillen meinen Namen und meine Liebe geben. Und ich schwöre, daß ich Ihnen nie Vorwürfe machen oder etwas bedauern werde.«
»Sie sind zu liebenswürdig, Andre. Das kann ich nicht...«
»Liebenswürdig?« Er war außer sich. »Ich wünsche es mir innigst und bete, daß Sie mir Ihr Jawort geben! Ihre Freundschaft war mir immer teuer, ich habe Sie für Ihre Courage, Ihre Schönheit, Ihre Sanftmut bewundert. Aber erst als ich Sie über die entwürdigenden Bedingungen der letzten Woche hinauswachsen sah, wußte ich, wie sehr ich Sie liebe.«
Angeline hörte seiner Erklärung kaum zu. Es konnte wirklich sein, daß sie ein Kind bekam. Sie hatte die Tage und Wochen nicht gezählt, aber sie wußte, daß sie ihre Monatsblutung zum letzten Mal vierzehn Tage vor der Soiree bei Madame Delacroix gehabt hatte. Wenn sie bisher daran gedacht hatte, war sie froh gewesen, hier davon verschont zu bleiben, wo so etwas dermaßen lästig war. Doch im Hintergrund lauerte stets die quälende Angst. Seit kurzem überkamen sie gelegentlich leichte Wellen von Übelkeit, und sie konnte starke Gerüche nicht mehr ertragen. Es gab noch andere Anzeichen, zwar klein, aber vielsagend.
Was also sollte sie jetzt machen? Auf McCulloughs Rückkehr warten und ihn weiß Gott wohin begleiten in der Hoffnung, daß Rolf sie fand, und zwar, bevor der Schotte die Chance ergriff, die Vergewaltigung, bei der er gestört worden war, noch einmal zu versuchen? Rolf hatte offenbar darauf vertraut, daß die Angst vor seiner Rache und Andres Anwesenheit McCullough an einem zweiten Versuch hindern würde. Aber wenn sie Andre abwies, welchen Grund hatte der dann noch, bei ihr zu bleiben?
Sie schob die Kapuze zurück und strich sich müde das Haar aus der Stirn. »Könnten wir eine Weile absteigen? Ich würde gerne ein Stück zu Fuß gehen, und vielleicht hilft das auch gegen mein Kopfweh.«
»Warum haben Sie nichts davon gesagt?« fragte Andre besorgt, stieg ab und reichte ihr den unverletzten Arm, um ihr aus dem Sattel zu helfen. »Die Pferde müssen sowieso ausruhen. Sie müssen weiden und getränkt werden. Ich glaube nicht, daß es hier etwas anderes als Wasser gibt. Ich bringe Ihnen welches.«
Er nahm den Silberbecher seiner Feldflasche aus der Satteltasche und ging zum Brunnen. Als er zurückkehrte, warf Angeline ihm einen fragenden Blick zu, da der Becher eine trübe Flüssigkeit enthielt. »Ein Pulver gegen Ihre Kopfschmerzen. Ich bringe noch mehr Wasser, wenn Sie es genommen haben.«
Angeline hielt den Atem an, trank einen Schluck und schüttelte sich wegen der Bitterkeit. »Ist es nicht ein bißchen zu stark?«
»Kann sein. Es ist aber die Dosis, die mir empfohlen wurde - wegen meines Arms, wissen Sie.« Er klopfte dem Pferd, das neben ihm graste, den Hals. »Rolf hat es mir durch Meyer zukommen lassen, es kann also nicht schaden.«
»Nein, vermutlich nicht«, erwiderte sie mit Zweifel in der Stimme. Dann riß sie sich zusammen, trank den Becher aus und gab ihn Andre zurück. Er nahm ihn und warf einen gehetzten, suchenden Blick in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Angeline musterte ihn und sagte: »Am besten trinken Sie auch etwas davon.«
»Ja, gleich.« Er ging mit schnellen Schritten zurück zum Brunnen. Wenn er seinen Anteil an Laudanum zu sich nahm, sah sie jedenfalls nichts davon. Angeline runzelte die Stirn und fragte sich, ob er ihr die einzige Dosis gegeben hatte, die da war. Es widerstrebte ihr, so viele Opfer anzunehmen. Meyer hatte ihr seinen Mantel gegeben, Oskar den Regenumhang und jetzt... Oskar, der ruhige, sanfte Oskar, der auf der Gitarre so schöne Zigeunermusik spielen konnte; er brauchte den Umhang nicht mehr.
Ihre Gedanken irrten ab. Ihre Beine waren wie Blei. Sie mußte sich an den Bretterzaun lehnen. Andre trödelte am Brunnen herum, sprach mit den Kindern und verteilte Pennystücke unter sie. Doch endlich kam er auf sie zu, aber er schwankte dabei ein bißchen. Auch die Bäume im Hintergrund und die beiden Halbwüchsigen, die hinter Andre her trotteten und Angeline mit weit aufgerissenen Augen angafften, schienen ins Wanken zu kommen. Als sie einen Schritt auf Andre zu tat, strauchelte sie.
Er fing sie auf; halb führte und halb trug er sie zum Zaun. Die beiden Jungen brachten die Pferde, die mit gesenkten Köpfen an den Grasbüscheln am Rande der Einfriedung knabberten.
»Tut mir leid,
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