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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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diesen Nahrungsmitteln in der Hand schickte sie sich an, die Treppe hinaufzugehen.
    Angeline war schon halb oben, als Tante Berthe aus ihrem Zimmer trat und herunterkam. Sie war zum Ausgehen gekleidet, trug einen kurzen Umhang um die Schultern, einen Korb am Arm und eine Haube, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Vielleicht konnte sie Angeline wegen der Krempe erst sehen, als sie schon auf der Treppe stand. Im Vorbeigehen beanspruchte Madame de Buys jedenfalls fast den ganzen Raum auf der schmalen Stiege und stieß Angeline beinahe über das Geländer.
    Doch nicht nur das Benehmen störte Angeline an ihrer Tante: Wie ihr in ihrem Zorn fast entgangen wäre, trug Tante Berthe Marias Umhang und Haube sowie den Korb der Zofe.
    Sie wollte Claire besuchen. Sie wußte genau, wo sie zu finden war, das lag auf der Hand. Sicher hatte sie unbemerkt hinausschlüpfen wollen. Bildete sie sich etwa ein, in Marias Kleidern unerkannt bleiben zu können? Das war kaum zu fassen, sie war so stark und die Zofe so mager. Aber vielleicht achtete man wenig auf Bedienstete oder Sklaven und ihr Kommen und Gehen, wenn man sie nicht gerade überwachte.
    Angeline zögerte, dann ging sie die Treppe wieder hinunter und lief ein paar Schritte den Weg entlang. Wenn sie Claires Versteck fand, durfte sie es Rolf nicht preisgeben. Sie wollte nur sehen und sich erkundigen, wie es ihr ging, und ob sie es gut hatte. Sie wollte mit ihr sprechen. Sie hatte so viele Fragen, und es drängte sie, die Antworten zu erfahren. Es war furchtbar, Claire in Einsamkeit und Furcht leben zu lassen. Plötzlich rannte Angeline, warf ihren Imbiß weg und stürzte durch die Pforte.
    Der Nachmittag ging nur Neige, und die Straßen waren daher fast leer. Angeline sah ihre Tante hastig auf den Fluß zugehen.
    Sie folgte ihr langsam. Es war ein warmer Tag, und es stank aus den Gossen in der Mitte der Straße. Ein ordentlicher Regenguß war nötig, um Schmutz und Abwasser, Speisereste und Pferdeäpfel in die Kanäle unter der Stadt und von dort in den Fluß zu schwemmen.
    Die Wahrscheinlichkeit dazu bestand, denn eine große Wolkenbank zog vom Nordwesten heran und brachte eine frische Brise mit sich.
    Tante Berthe mied den Markt auf dem Damm und huschte durch eine Straße, deren Häuser dem Erdwall, der die Stadt vor dem Toben des Mississippi bei Flut bewahren sollte, den Rücken zukehrten. Früher wohnten hier die Reichen und Mächtigen, dann waren die Gebäude durch häufiges Überfluten, Wirbelstürme und den Schwamm immer mehr heruntergekommen. Ihre Besitzer waren in die höher gelegenen Viertel gezogen und hatten die Häuser mit den durchsackenden Böden und unverputzten Ziegelmauern den Besitzern von Kaffeehäusern, Schenken und Spielhöllen überlassen, über denen sich meist ein Bordell befand. Hier trieben sich die Matrosen der Schiffe herum, die im Hafen lagen, hier sahen sich die Bootsleute, die ihre Fahrzeuge flußaufwärts stakten, mit den Einnahmen einer ganzen Saison in den Taschen nach einem Ort um, wo sie ihr Geld ausgeben konnten.
    Es verging kaum ein Tag, an dem in diesen Gassen nicht eine Leiche gefunden wurde, und Erzählungen über mysteriöse Stürze in den Fluß hinter dem Haus und eigenartig schaukelnder Gegenstände, die im Wasser abdrifteten, gab es zuhauf.
    Eines war sicher: Das war kein Ort, an den sich eine Frau allein wagen sollte, nicht einmal eine im Alter von Madame de Buys. Daß sie immer weiter und weiter in dieses Viertel eindrang, zeigte ihre große Liebe zu ihrer Tochter, denn sie war sonst von nervöser Disposition und fürchtete sich bestimmt vor den Gefahren, die hier lauerten.
    Schließlich bog die Matrone in eine Seitengasse zwischen zwei Häusern ein. Angeline wich drei Männern aus, die auf dem Trottoir Karten spielten. Dann kam sie an der offenen Tür eines Kaffeehauses vorbei. Ein Betrunkener rief ihr etwas nach. Ohne ihn zu beachten, behielt sie die Gasse im Auge, in der ihre Tante verschwunden war, und lief weiter.
    Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und durch die offene Tür in ein dunkles Zimmer gezerrt, dessen Boden mit Sägemehl bestreut war. In der Luft hing der Geruch von Absinth. Sie riß sich los und
    starrte in das bärtige Gesicht und die tabakbraunen Augen eines Mannes, von dem sie nicht erwartet hätte, ihn je wiederzusehen.
    »Na, man weiß ja nie, wen man in New Orleans alles trifft«, sagte McCullough mit schleppender Stimme. »Freut mich, Euch zu Gesicht zu kriegen, Mademoiselle Fortin, meine

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