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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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hatte sich Claire aus dem einmal erreichten Refugium nicht mehr herausgetraut?
    Irgendwo quietschte eine Türklinke. Drei Häuser weiter trat eine Frau auf die Galerie, die Haube und Umhang trug. Angeline wich zurück, als ihre Tante die Hintertreppe hinabstieg und die Straße nahm, die sie hergekommen war.
    Sie war nicht lange geblieben, nicht mehr als eine halbe Stunde. Angeline ließ ihr Zeit, die Straße zu erreichen, dann trat sie aus ihrem Versteck und ging zur Hintertreppe, die Madame de Buys heruntergekommen war. Sie erklomm sie mit schnellen, leichten Schritten. Vor der Tür hielt sie inne, holte tief Luft, drückte die Klinke hinunter und trat ein.
    Sie befand sich in einem engen, dunklen Korridor. Geradeaus schwang sich eine Treppe mit elegant gedrechseltem Geländer ins Parterre, rechts und links waren Türen zu sehen. Von unten drang das Gemurmel von Männerstimmen, Gläsergeklirr und das Klackern fallender Würfel an ihr Ohr. Sie beugte sich vor und blickte auf einen Tisch mit grünem Filzbelag, an dem Karten gespielt wurde.
    Der Raum sah aus, wie man sich eine Spielhölle vorstellt, und besaß all die übertrieben laute Eleganz jener Etablissements, ein Eindruck, den der Geruch nach Aquavit und Schnupftabak, nach Zigarrenrauch und Staub und nach Fäulnis bestätigte, wie wenn Blumen zu lange in der Vase stehen.
    Angeline runzelte die Stirn. Jetzt, wo sie hier war, hatte sie keine Ahnung, was sie tun sollte. Sie traute sich nicht, einfach die Türen zu öffnen und in die Zimmer hineinzuschauen. Auf der anderen Seite schien es ihr unklug, sich unten im Spielzimmer nach Claire zu erkundigen. Sie konnte aber auch nicht unentschlossen hier stehen-bleiben und darauf warten, daß ihre Kusine von selbst zum Vorschein kam. Mit steifen Bewegungen ging sie zur nächsten Tür auf der rechten Seite und öffnete sie einen Spaltbreit. Als nichts zu hören war, stieß sie sie weiter auf.
    Es war ein Schlafzimmer mit dunkelblauen Samtvorhängen, die in den Falten grau waren vor Staub. Auf einem billigen Kieferntisch standen ein gesprungener Porzellankrug und eine Schüssel, und auf dem schwarzweiß gewürfelten Teppich, der den Boden bedeckte, befanden sich ein Eimer für Schmutzwasser und ein pot de chambre. Im Zimmer standen auch ein Schrank und ein schmales Bett, von dessen gebrechlichem Himmel das Moskitonetz in Fetzen herunterhing. Es war leer.
    »Bonjour, Mademoiselle. Oder Madame?«
    In der Tür stand ein hochgewachsener schlanker Franzose mit Schnauzer und Spitzbart und den eisigsten schwarzen Augen, denen Angeline je begegnet war.
    »Bonjour», erwiderte sie mechanisch, während sie hastig überlegte, was dieser Mensch als nächstes fragen würde.
    »Sucht Ihr eine Stellung, oder gehört Ihr zu den jungen Damen unserer schönen Metropole, die am Nachmittag gerne Aufregenderes erleben, als sie nachts von ihrem Mann geboten kriegen?«
    Darauf war sie nicht vorbereitet.
    »Nein, nein, ich... ich möchte nur meine Kusine, Claire de Buys, besuchen.«
    »Oh, unsere reizende Claire?« Er trat ins Zimmer und musterte sie eindringlich vom Kopf bis zu den Schuhspitzen, die unter ihren altmodisch langen Röcken gerade noch hervorschauten. »Ja, die Ähnlichkeit ist unverkennbar.«
    »Ist sie hier? Kann ich sie sehen?«
    Er zuckte die Achseln. »Mir ist’s gleich, ob sie Männer, Weiber oder Köter unterhält, solange ich dabei Geld mache. Aber da war doch was - ah ja!«
    Direkt auf diesen Ausruf hin rührte sich etwas in einem der gegenüberliegenden Zimmer. Eine Frau erschien auf der Schwelle. Sie trug einen Morgenrock aus mehreren Lagen weißen, spitzenbesetzten Tafts, der mit einer Seidenborte eingefaßt war. Oben wurde er von einem smaragdgrünen Band zusammengehalten und stand vorne offen, so daß darunter deutlich ein schlanker weißer Körper zu sehen war, der fast ausgemergelt wirkte.
    »Etienne«, sagte sie. »Ich dachte... Angeline!«
    »Claire, ich...« Angeline wollte auf sie zugehen, doch dieser Etienne - er mußte der Spieler sein, der Claire dem Spanier abgekauft hatte - stellte sich ihr in den Weg. Er versetzte ihr einen derben Stoß, daß sie ins Schlafzimmer zurücktaumelte, dann schlug er ihr die Tür vor der Nase zu. Als sie nach der Klinke griff, hörte sie verblüfft, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte.
    »Claire!« rief sie, polterte gegen die Tür und rüttelte an der Klinke. »Claire?«
    Von draußen waren die Geräusche eines Handgemenges zu hören, und eine Frauenstimme protestierte.

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