Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
gewesen, ja, er hatte nicht einmal Angst um sie gehabt. Er hatte einfach nur am Kalamazoo auf einem Baumstumpf gesessen und ein Messer gewetzt. Im Traum hatte sie gespürt, dass er bei ihr war, wie damals, bevor Luanne fortgegangen war und all die Probleme mit den Murrays angefangen hatten, und das hatte sie mit innerem Frieden erfüllt. Sie lag im Bett und lauschte dem hohen Piepsen und Pfeifen rund um ihr Boot: Es kam von einer Schar Zedernseidenschwänze, die auf ihrem Flug nach Norden ausruhten. Margo piepste und pfiff in der Geheimsprache der Vögel zurück. In ihren Augen war jede Sprache eine Geheimsprache, unergründlich, beeinflussend und voller Hoffnung. Das fing schon mit den Kinderreimen ein, die Margo sich in letzter Zeit häufig vorgesagt hatte und die sie aus Mrs   Rathburns Büchern kannte. Früher hatte sie das mit der Sprache schwierig gefunden, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es jetzt besser ging.
    Durchs offene Fenster hörte sie das Miauen eines Katzenvogels, der von dem Ort zurückgekehrt war, an dem die Katzenvögel überwinterten, wo auch immer das sein mochte. Plötzlich veränderte er seine Melodie und ahmte das Pfeifen der Seidenschwänze nach. Der große Hund lag auf dem Boden, er schnaufte und pfiff im Schlaf.
    Eine laue Brise wehte durch die Fliegengitter, und in diesem Moment fühlte Margo sich rundum wohl in ihrer Haut. In manchen Nächten wälzte sie sich zum Zirpen der Grillen stundenlang im Bett, um eine bequeme Position für ihre wachsende Leibesfülle zu finden. Und letzte Nacht war es, obwohl im Ofen kein Feuer gebrannt hatte, so warm gewesen, dass sie die Berührung von Kleidern oder Laken an ihrem Bauch nicht ertragen und nackt geschlafen hatte. Manchmal wurde die Frühjahrssinfonie der Frühlingspfeifer, Frösche, Kröten und Grillen allzu penetrant, aber in dieser Nacht hatte das Trommeln des Regens auf dem Blechdach alles übertönt, und sie hatte so tief geschlafen, dass ihre Augen ganz verquollen waren.
    Margo konnte jederzeit in Smokes Haus einziehen, aber sie wollte ihre Kajüte noch nicht verlassen. In ein paar Tagen würde Fishbone kommen, um ihr Hausboot mithilfe seines Aluminiumboots wieder flussaufwärts zu schleppen. Er hatte gesagt, am besten wäre es, wenn sie ein paar Maultiere hätten wie jene, die in seiner Kindheit in Ohio die Lastkähne den Fluss hochgezogen hatten. Dem Baby zuliebe würde Margo ins Haus umziehen – Mrs   Rathburn hatte sie an Annehmlichkeiten wie die Waschmaschine oder das fließende Wasser erinnert, welches ihr das Flaschenschleppen ersparen würde –, aber sie war auf der Glutton inzwischen so glücklich, wie sie es noch nie zuvor gewesen war. In der Geborgenheit ihres gemütlichen Heims am Fluss hatte sie sich selbst so beobachten können, wie sie früher Blaureiher und Königsfischer oder die Hunde und Männer in ihrer Umgebung beobachtet hatte. Sie konnte nun in Ruhe darüber nachgrübeln, was sie umtrieb, weniger, um eine Lösung zu finden, als um sich darüber klar zu werden, was sie daraus lernen konnte. Hoffentlich hatte Smoke nicht recht gehabt, als er sagte, Menschen seien unverständliche Wesen. Hoffentlich konnte sie wenigstens sich selbst wie eine Nuss knacken und verstehen lernen. Dann wäre sie nämlich imstande, allmählich auch die anderen zu begreifen.
    Sie schwang die Füße auf den Bettvorleger, streichelte Nightmare und nickte ihrer Büchse im Gewehrständer neben der Tür einen Guten-Morgen-Gruß zu. Dann hüllte sie sich in ein Laken, schüttete etwas Hundefutter in eine Schüssel und trug sie auf das mit Gummi ausgelegte Blechdeck des Boots, das sich in der Sonne langsam erwärmte. Sie betrachtete den sprudelnden Fluss. Er führte Hochwasser, aber so dramatisch wie in ihrem Traum war es nicht. Nun, wo Cranes Geist bei ihr war, würde er sie vielleicht eines Tages bitten, seine Asche über dem Wasser auszustreuen, aber noch war sie nicht so weit.
    Die Seidenschwänze und ein paar lärmende Grasmücken versammelten sich in den Bäumen des Windschutzes. Sie segelten herab und setzten sich auf die Äste, flogen wieder auf und ließen sich erneut nieder. Im Anflug sahen sie aus wie dunkle Flecken vor einem Himmel, der so tiefblau war wie die Prunkwinden, die Joanna jeden Frühling am Flussufer pflanzte. Einer nach dem anderen stießen die Seidenschwänze wie maskierte kleine Räuber von ihrem hoch gelegenen Sitzplatz herab, um die Schnäbel ins Quellwasser zu tauchen. Die Zugvögel würden ein bisschen vom

Weitere Kostenlose Bücher