Stromschnellen: Roman (German Edition)
passiert.
»Das ist kurz und bündig«, stellte Junior fest. »Sind die Bullen außer Sichtweite?«
»Der Mann ist tot«, sagte Ricky. »Zu dumm, dass das Testament nicht notariell beglaubigt ist.«
»Dann können wir jetzt eine rauchen.« Junior kramte etwas aus der Tasche seiner Jeansjacke. Es war ein Plastiktütchen mit mehreren Joints darin. Er setzte sich auf den Küchentisch. »Was ist mit den Stühlen passiert?«
Margo zuckte mit den Achseln und setzte sich neben ihn.
»Sie hätten dich nicht nach Hause lassen dürfen.« Vorsichtig strich Junior einen Joint gerade und zündete ihn mit einem weißen Feuerzeug an. Er machte einen langen Zug und hielt ihn Margo hin.
»Ich weiß nicht …« Margo ließ die Beine neben Juniors baumeln. Erst jetzt fiel ihr auf, dass man ihrem Cousin in der Militärschule das Haar so kurz geschoren hatte, dass es sich nicht mehr im Nacken kräuselte. Gestern Abend hatte sie aufgeschnappt, dass er nach dem verlängerten Wochenende sofort dorthin zurückmusste, also war dies Margos einzige Gelegenheit, ihn zu sehen.
Junior hielt immer noch die Luft an, stieß ihr mit dem Ellbogen in die Rippen und sagte kieksend: »Das wird dir gut tun. Nach Grandpas Tod war ich drei Monate lang bekifft. Er fehlt mir so sehr!«
Margo nahm den Joint, zog kräftig daran und musste husten. Sie reichte ihn an Ricky weiter. Er paffte ein paarmal daran, studierte dabei das Testament und drehte es immer wieder um, obwohl die Rückseite unbeschrieben war. Als Junior Margo den Joint das nächste Mal gab, inhalierte sie den Rauch und hielt ihn eine Weile in den Lungen. Sie war zwar nicht gern benebelt, hoffte aber, dass das Gras ihren Schmerz dämpfen würde. Schweigend reichten sie den Joint im Kreis herum, bis er zu Ende war. Dann sichtete Ricky die anderen Dokumente. »Scheidungspapiere«, verkündete er. »Sie wurde vor acht Monaten vollzogen.«
Margo hätte jetzt gerne noch mal am Joint gezogen. Crane hatte eine Scheidung nie erwähnt.
Junior las sich mit geradezu absurder Gewissenhaftigkeit den Grundstücksvertrag durch. Er war auf der dritten Seite von ihren beiden Vätern unterschrieben.
»Wirst du jetzt bei Cal und Joanna wohnen?«, fragte Ricky.
»Ma hat gesagt, dass du zu uns ziehen musst«, meinte Junior und starrte auf Cranes Werksausweis. »Mit fünfzehn darfst du noch nicht allein leben. Und wo solltest du sonst hin?«
»Bin gerade, am zwanzigsten, sechzehn geworden.«
»Wenn du bei deiner Tante und deinem Onkel wohnst, muss die Polizei vielleicht nicht das Sozialamt benachrichtigen«, gab Ricky zu bedenken.
»Das Sozialamt?« Margo nahm Junior den Werksausweis aus der Hand. Sie hatte gehört, dass das Sozialamt Kinder in Wohngemeinschaften steckte, zu wildfremden Menschen, die merkwürdige Dinge mit ihnen machten. Auf jeden Fall würde sie dann weit weg vom Fluss leben, das war ihr klar. »Ich wünschte, du wärst wieder zu Hause, Junior«, sagte sie schleppend. »Dann würde es mir leichter fallen, bei euch zu wohnen.«
»Das wünsche ich mir auch. An Weihnachten komm ich heim. Vielleicht kann ich meine Alten dann überreden, dass ich bleiben darf.«
Ricky und Junior schienen sich in Zeitlupe zu bewegen, während sie noch mehr Unterlagen wie Geburtsurkunden und den Fahrzeugbrief des Ford aus der Schachtel zogen. Plötzlich fiel Margos Blick auf einen rosafarbenen Briefumschlag mit handgeschriebenem Absender links oben in der Ecke, einer Adresse in Heart of Pines, Michigan. Zwar stand der Name ihrer Mutter nicht darüber, aber Margo erkannte ihre schnörkelige, nach links geneigte Schrift.
»Daddy hat ein paar von seinen Papieren auf der Küchentheke neben dem Toaster aufbewahrt«, sagte sie, und als Juniors und Rickys Augen zu Cranes Rechnungsstapel wanderten, schnappte sie sich den Umschlag aus der Schachtel und schob ihn in die Jeanstasche. Dann holte sie ihre und Cranes Geburtsurkunde heraus und legte sie beiseite.
»Weißt du von irgendwelchen anderen Vermögenswerten?«, fragte Ricky. »Wir brauchen Informationen darüber, was ihm gehört hat.«
»Du bist kein Anwalt, Kumpel«, erinnerte ihn Junior.
»Na und? Einer muss sich um diese Dinge kümmern. Und einen Anwalt kann Nympho sich nicht leisten.«
»Da wären der Pick-up, eine Kettensäge und das Werkzeug«, zählte Margo auf. Sie wischte Augen und Nase an ihrem Ärmel ab. Cranes zwei Gewehre erwähnte sie nicht.
»Was ist mit einem Sparbuch?«, fragte Ricky. Er ging ins Bad und holte für Margo anstelle von
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