Stromschnellen: Roman (German Edition)
Kindern.«
»Ich glaube, das würde ich nicht einen Tag aushalten«, sagte sie. »Wirst du mich anzeigen?«
»Ich muss, sonst komme ich wegen Beihilfe auch ins Gefängnis. Aber du wirst dich selbst stellen, nicht wahr?«
»Warum warten wir nicht einfach ab, was passiert?«
»Ich kann so nicht leben: diese ständige Angst, was alles passieren könnte, und das Wissen, dass ich mich eines Verbrechens schuldig gemacht habe und der Hammer jeden Tag fallen kann.«
Margo war das Leben in Angst so vertraut wie jedem Geschöpf der Wildnis. Angst davor, etwas zu verlieren oder vielleicht jemandem zu begegnen, der ihr etwas antun wollte.
»Wenn du dich nicht selbst anzeigst, kannst du nicht hierbleiben«, erklärte Michael.
Sie erschrak, als sie diese Worte hörte, aber es passte auch. Sie hatte schon immer gewusst, dass dieses aufgeräumte, gemütliche Haus nicht ihr Zuhause war. Michael hatte ihr Kleider und Bücher geschenkt, aber er hatte sie nicht verändert.
»Wenn du dich nicht stellst, will ich mit dir nichts mehr zu tun haben.«
Die Hündin hob den Kopf von Margarets Schenkel und sah sie an.
Margo stand auf und zerrte ihren Rucksack aus dem Schrank. Wenn sie sich stellte, würde sie nicht nur eingesperrt, sondern Michael würde für ihre Verteidigung womöglich sein ganzes Geld ausgeben und sein Leben auch noch zerstören. Ihr blieb keine Wahl. Sie würde die Annehmlichkeiten hier aufgeben und zu ihrem wahren Leben auf dem Fluss zurückkehren.
»Ach, Margaret, was für ein Schlamassel!«, klagte Michael.
Margo nahm ihre Haarbürste von der Kommode. Sie ging so umsichtig wie möglich vor, als sie ihre wenigen Habseligkeiten einsammelte und in den Rucksack steckte, den sie während der ganzen Zeit bei Michael nicht ausgepackt hatte. Danach holte sie ihre Büchse aus dem Holzständer, den Michael gebaut hatte, streifte sie sich über die linke Schulter, ließ vier Schachteln mit .22er-Patronen in den Rucksack fallen und sah sich nach Spuren ihres Daseins um. Fast alles, was sie hier eingebracht hatte, hatten sie gegessen. Sie nahm das neue Buch über Annie Oakley vom Nachttisch. Auch das Buch über den jagenden Indianer hätte sie gern eingepackt, aber das hatte Michael ihr nicht geschenkt. Dann sagte sie dem fischenden Hund und Michael Lebewohl, ohne sie anzusehen, und machte sich auf zum Fluss.
13. KAPITEL
Als Margo das Marihuanahaus erreichte, war es Mitternacht, und die Grillen lärmten. Auf ihrer zwölfstündigen Fahrt gut dreißig Meilen den Fluss hinunter war sie an sumpfigen Stellen mit quakenden Ochsenfröschen vorbeigekommen, aber hier zirpten die Laubfrösche wie Insekten. Margo zog ihr Boot auf den Sand und kletterte die Böschung hoch. Das zugewucherte Grundstück wirkte gespenstisch in seiner Verwahrlosung. Der Steg war aus dem Wasser herausgezogen, und durch die Ritzen zwischen den Brettern sprossen Gräser und Unkraut. Mehrere Fenster waren vernagelt, und in den Glasscherben, die darunter auf dem Boden lagen, spiegelte sich das Mondlicht. Vorhängeschlösser hingen an beiden Türen. Margo zündete die Petroleumlampe an, die sie vor der Fahrt aus Brians Hütte entwendet hatte. Mit hoch gehaltener Lampe las sie die Schilder an den Türen: STOPP! ZUTRITT VERBOTEN . Darunter standen die aufgesprühten Worte DU BIST GEMEINT . Das Hanfblatt, mit dem Junior sich hier verewigt hatte, war übermalt worden. Als keins der unvernagelten Fenster nachgab, machte Margo sich daran, eins der Sperrholzbretter wegzustemmen.
Vor der Fahrt hatte sie sich tagelang flussabwärts von Michaels Haus herumgedrückt, aber keine Polizei gesehen. Sie wusste, dass sie Paul irgendwann finden und mit großer Wahrscheinlichkeit die Pfahlhütte durchsuchen würden. Also hatte sie sich hineingeschlichen, um ein paar Sachen für ihre Reise zu holen: die Lampe, eine kleine klappbare Militärschaufel, mit der sie jetzt das Brett wegstemmte, eine Angelrute und einen Wasserkanister. Bei der Gelegenheit hatte sie sämtliche Flächen abgewischt, auf denen sich ihre Fingerabdrücke befinden konnten, aber wenn die Polizei Spürhunde einsetzte, würden sie sie wittern. Sie hoffte, dass Michael die Behörden nicht verständigt hatte. Es tat ihr leid, dass sie ihm wehgetan hatte.
Sie bearbeitete das dünne Sperrholzbrett eine ganze Weile und zog Nagel für Nagel heraus, bis sie es endlich so weit gelockert hatte, dass sie sich daran vorbeizwängen und durch die leere Fensteröffnung schlüpfen konnte. Die Lampe nahm sie mit. Der
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