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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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oder?«
    »Ich musste dich schützen.«
    »Was zum Teufel …? Oh, mein Gott, er ist tot!«
    »Er hätte dich umgebracht.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Er hatte seinen Fuß auf deiner Kehle. Man kann den Abdruck von seinem Stiefel sehen.«
    »Margaret, bitte leg das Gewehr weg.« Michael klang verängstigt. »Warum bist du nicht ins Haus gegangen und hast die Polizei gerufen?«
    »Ich konnte dich nicht mit ihm allein lassen. Er war total zugedröhnt. Hast du seine Augen denn nicht gesehen?«
    »Lass uns sofort die Polizei rufen. Komm, wir gehen zusammen.«
    »Er hat mich vergewaltigt«, brach es aus ihr hervor.
    »Oh, Gott. Ich habe es geahnt. Warum hast du es mir nie gesagt? Wir hätten eine einstweilige Verfügung oder so was erwirken können.«
    »Das hätte ihn nicht aufgehalten.« Sie konnte nicht mit ansehen, wie Michaels Gesicht förmlich zerfiel.
    Er streckte die Hand nach dem Gewehr aus. Margo wich ihm abrupt aus, und dabei fiel es zwischen ihnen zu Boden.
    »Es ging alles so schnell«, erklärte sie. »Aber du verstehst nicht, er wollte dir wirklich was tun.«
    »Wir waren die glücklichsten Menschen auf dieser Erde. Noch heute Mittag waren wir die glücklichsten Menschen der Welt. Weißt du noch?« Seine Stimme überschlug sich, bis sie so schrill klang wie das Zirpen der Zikaden.
    Margo ließ das Gewehr nicht aus den Augen. Ja, sie wusste noch. Das gemeinsame Mittagessen. Das Sonnenlicht auf dem Tisch, die gelb-weiß gemusterten, mit Krümeln bedeckten Teller.
    »Auf dem Floß ist kein Blut. Niemand hat was gesehen«, stellte sie fest. Das Blut lief zwar immer noch in roten Bächen am Bootsrumpf aus weißem Fiberglas herunter, aber auf den Holzplanken war kein einziger Tropfen zu sehen. Sie blickte den Fluss hoch und runter, sah aber niemanden kommen, wegfahren oder sich in Wassernähe aufhalten. Die Auffahrt des nächstgelegenen Nachbarn war leer. Wenn sie alles richtig machte, konnten sie morgen wie gewohnt frühstücken: Eier und Toastbrot, Butter und Marmelade. Golden glitzerte die Oberfläche des Flusses in der untergehenden Sonne. Margos erster Gedanke war, Paul ganz ins Boot zu stoßen, es loszumachen und den Fluss hinunterzuschicken, aber womöglich kam es nicht weit genug, bevor es entdeckt oder von der Strömung ans Ufer getrieben wurde wie ihr Ruderboot, als sie eingeschlafen war.
    »Wir müssen die Polizei rufen.«
    »Niemand hat es gesehen, Michael. Komm, wir schaffen ihn ins Boot«, sagte sie schwach. Am liebsten hätte sie gar nichts gesagt. Es war nicht der richtige Zeitpunkt zum Reden.
    »Das ist ein Tatort. Wir dürfen die Leiche nicht anrühren.« Michael schüttelte den Kopf. »Ich muss nachdenken, Margaret. Lass mich kurz nachdenken.«
    Margo fiel der Hirsch ein, den sie in Murrayville am anderen Flussufer erlegt hatte. Sie hatte mit dem massigen Körper gerungen, bis sie auf die kluge Idee gekommen war, sich unter das tote Tier zu schieben und es mit der Kraft ihrer Beine hochzustemmen. Das Gleiche hätte sie mit Paul machen sollen, als er in Brians Bett auf ihr gelegen hatte: Sie hätte ihn mit den Schultern hochstemmen und abschütteln sollen, hätte ihm ein Messer an die Kehle setzen und ihn daran hindern sollen, noch weiter zu gehen. Dann hätte sie ihn jetzt nicht vor Michaels Augen erschießen müssen. Während Michael langsam zurückwich, kroch Margo unter Pauls Beine und schob ihn ins Boot. Sein Körper kippte seitlich über die Bordwand und landete neben der Sitzbank auf dem Boden, genau an der Stelle, wo Johnny damals neben ihrem mit der Plane abgedeckten Hirsch gelegen hatte. Dabei rutschte sein Arbeitshemd hoch und entblößte seinen bleichen Bauch. Margo spritzte so lange Wasser auf die Bordwand, bis das Fiberglas vom Blut reingewaschen war. Die Strömung spülte die Rückstände flussabwärts. Margos T-Shirt war einfarbig schwarz, darauf würde man kein Blut sehen. Sie bückte sich, wusch die Hände im Fluss und strich ihr Haar glatt. Dann hob sie die Flinte auf.
    »Das hier ist ein Tatort, Margaret!«, wiederholte Michael. »Etwas zu verändern ist eine weitere Straftat. Das verstehst du nicht. Du musst jetzt damit aufhören und das Richtige tun. Begreif doch, wie ernst die Lage ist.« Er ging weiter rückwärts, bis er mit der Ferse gegen das Ende der Laufplanke stieß. Fast wäre er gestolpert. Die Planke war mit einem riesigen Schraubbolzen, mit Beilagscheibe und Mutter am Floß befestigt, die ihr bei wechselndem Wasserstand genügend Spielraum ließen.
    Aus

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