Stromschnellen: Roman (German Edition)
bevor sie sich auf die Bettkante setzte. Während sie wartete, streichelte sie King Cleos Kopf. Als Michael ins Schlafzimmer kam und sie sah, ließ er das Handtuch fallen, das er sich um die Hüften geschlungen hatte.
»Ich sollte zur Polizei gehen«, sagte er. Er hob das Handtuch auf und bedeckte sich damit. »Ich hab die ganze Nacht darüber nachgedacht.«
»Das Boot liegt jetzt in Heart of Pines«, sagte Margo leise, »am hintersten Ende der Marina oberhalb von der Tankstelle. Es kann Tage dauern, bis sie ihn unter der Plane entdecken, vielleicht sogar Wochen.« Sie streckte ihm die Hand hin, und Michael ergriff sie in einem Reflex.
»Erzähl mir nicht mehr«, sagte er und ließ ihre Hand los.
»Ich hab keine Fingerabdrücke hinterlassen. Ich hab mich versteckt, bis es vollkommen dunkel war, und das Boot erst dann geparkt. Niemand hat mich gesehen.« Danach war sie auf der Uferstraße zurückgegangen. Sie hatte ihr blutverschmiertes T-Shirt um einen Stein gebunden, die Arbeitshandschuhe mit Schlamm gefüllt und alles versenkt.
»Man kann nicht einen Menschen töten, ohne die Konsequenzen zu tragen.«
Margo zog die Hand zurück und legte sie in den Schoß. Sie wusste nicht, ob das stimmte oder ob sich auch nur eine einzige von Michaels Regeln auf lange Sicht bewahrheiten würde. Schließlich hatte Brian oben im Norden auch einen Mann getötet und war damit davongekommen, bis er dummerweise Cal angegriffen hatte. Vielleicht würde sie andere Konsequenzen zu tragen haben, als Michael dachte.
Sie wusste, wie sehr Michael es hasste, wenn sie sich wie eine Auster verschloss. Sie hatte gehofft, er würde seine Meinung ändern, aber er war mehr denn je davon überzeugt, dass sie die Polizei verständigen mussten.
»Ich hatte gedacht, du hättest dich im letzten Jahr verändert«, sagte er und schloss die Augen.
»Verändert? Wie denn? Ich dachte, du magst mich, wie ich bin.«
»Aber du hast nichts dazugelernt.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach lernen?«
»Dass du nicht wie ein Wolfsmädchen leben kannst. Dass es nicht ohne Grund Gesetze gibt. Dass Gesetze das Zusammenleben überhaupt erst möglich machen. Und dass es einen guten Grund gibt, die Schule zu beenden, nämlich damit man ein besserer Bürger wird. Das alles ist mir jetzt klar geworden. Wenn du dich noch heute Morgen stellst, tue ich alles für dich. Ich engagiere für dich den besten Anwalt, den ich mir leisten kann. Ich setze jeden Penny ein, um dich freizukriegen. Vielleicht musst du gar nicht ins Gefängnis. Ich würde ihnen erzählen, dass du gedacht hast, er will mir den Kehlkopf eintreten.«
Forschend sah sie ihn an, um herauszufinden, ob er sie tatsächlich an die Polizei ausliefern oder es fertigbringen würde, für sie zu lügen. Michael war ein ehrlicher Mensch, und sie wollte nicht, dass er lügen musste.
»Sitz hier nicht rum wie ein entführtes Indianermädchen! Ich habe dich nicht entführt, Margaret Louise. Du bist zu mir gekommen. Erinnere dich: Du bist zu mir gekommen.« Er schüttelte den Kopf. »Du warst heimatlos, und ich habe dich aufgenommen.«
Sie streichelte wieder die Hündin. Vielleicht hatte Michael in ihr so etwas Ähnliches gesehen wie in Cleo: ein freundliches Geschöpf, dem er ein Zuhause geben konnte.
»Ich geb mir wirklich Mühe, Margaret, aber ich hab Angst«, gestand er. »Sag mir, dass du so was noch nie getan hast. Sag mir, dass du noch nie auf jemanden geschossen hast.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Oh, Gott, du hast schon mal jemanden umgebracht.«
»Nein, ich hab auf jemanden geschossen, aber ich hab ihn nicht getötet. Er hatte etwas verbrochen. Ich hab nur mit ihm abgerechnet, damit ich ihn nicht ins Gefängnis schicken muss. Für manche Menschen ist das Gefängnis schlimmer als eine Schusswunde.« Margo sah durch die Glasschiebetür, und ihr Blick blieb auf der Oberfläche des dunklen Flusses an dem sich spiegelnden Licht von Michaels Strahler hängen.
Michael setzte sich neben sie ans Fußende des Betts. »Warum musste das passieren?«, fragte er. »Sag mir, was in dir vorgeht, Margaret.«
»Er hätte dich umbringen können.« Sie wusste nicht, was in ihr vorging – nur, dass sie Angst hatte.
»Wahrscheinlich hast du recht. Er hätte mir was antun können«, sagte Michael. »War das sein Gewehr?«
»Sein Bruder hat es mir geschenkt. Ich habe es nicht gestohlen.«
»Vielleicht musst du nur für kurze Zeit ins Gefängnis. Oder in ein Jugendheim, zusammen mit anderen
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