Studio 6
nicht, ich habe sie nie kennen gelernt. Aber Patricia hat erzählt, dass sie hier gearbeitet hat …«
Er ging wieder zu ihr und kam ihr mit dem Gesicht ganz nah.
»Es ist für Josefine ziemlich übel ausgegangen«, presste er hervor. »Wir haben hier mächtige Kunden, weißt du.
Sie meinte, sie könne ihnen Geld abluchsen. Hüte dich davor. Versuche nie, jemanden über den Tisch zu ziehen, weder die Kunden noch mich.« Joachim machte kehrt und ging die Wendeltreppe hinauf.
Annika hielt sich an der Roulettescheibe fest, ihr war schwindelig.
Neunzehn Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage
Ich werde von dem Willen getrieben zu verstehen. Ich erkenne, dass ich nach Erklärungen und Zusammenhängen suche, wo es vielleicht keine gibt. Was weiß ich überhaupt von den Bedingungen der Liebe?
Im Grunde ist er nicht böse. Nur gefährdet, klein und empfindlich, von seiner Kindheit geprägt. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass seine Machtlosigkeit sich immer gleich äußern wird. Wenn er reifer wird, wird er aufhören zu schlagen. Mein eigenes armseliges Misstrauen rammt mir Pfähle der Scham in den Magen: Ich habe ihn viel zu leichtfertig verurteilt. Meine eigene Entwicklung halte ich für selbstverständlich, seine ignoriere ich völlig.
Und dennoch hat sich die Kälte schon tief in meiner Brust eingenistet.
Denn er sagt,
dass er mich niemals
gehen lässt.
SAMSTAG, 8. SEPTEMBER
Es war ein seltsames Gefühl, wieder den Fahrstuhl nach oben zu nehmen. Sie erinnerte sich noch, wie sie voriges Mal geglaubt hatte, es wäre das letzte Mal.
Nichts währt ewig, dachte sie bei sich. Alles bewegt sich in Zirkeln. In der Redaktion war es hell, still und wie immer am Wochenende leer, genau wie sie es gern hatte.
Ingvar Johansson saß mit dem Rücken zu ihr und telefonierte, er bemerkte sie nicht.
Anders Schyman hockte in seinem Aquarium am Schreibtisch.
»Kommen Sie herein«, forderte er sie auf und zeigte auf ein dunkelrotes Ledersofa, mit dem er das Stinkobjekt ersetzt hatte.
Annika schob die Tür hinter sich zu und schaute durch die müden Gardinen in die Redaktion hinaus. Es war seltsam, dass alles aussah wie früher, gerade so, als hätte es sie nie gegeben.
»Sie sehen erholt aus«, bemerkte er.
Blödes Gerede, dachte Annika.
»Ich glaube nicht, dass ich damals so furchtbar müde war«, erwiderte sie und setzte sich auf das Sofa. Die Füllung war hart, das Leder kalt.
»Wie war Kaukasien?«, erkundigte er sich.
Sie begriff nicht, kniff die Lippen zusammen.
»Sie wollten doch dahin«, half ihr Schyman.
»Es gab keine Flüge mehr«, behauptete Annika. »Ich war stattdessen in der Türkei.«
Der Ressortchef lächelte.
»Welch ein Glück«, meinte er. »Dort unten braut sich ein Krieg zusammen. Die Armee scheint mobilzumachen.«
Annika nickte.
»Die Regierung hat endlich Zugang zu Waffen bekommen.«
Sie saßen eine Weile schweigend da.
»Was haben Sie am Laufen?«, fragte Schyman.
Annika holte Luft.
»Ich habe es noch nicht geschrieben«, sagte sie, »ich habe keinen Computer. Ich dachte, ich trage es Ihnen mal vor und Sie sagen mir, was Sie davon halten.«
»Schießen Sie los«, sagte der Ressortleiter.
Annika holte ihre Fotokopien aus der Tasche.
»Es geht um den Mord an Josefine Liljeberg und den verdächtigen Minister«, erklärte sie.
Anders Schyman wartete, ohne etwas zu sagen.
»Der Minister ist unschuldig«, begann sie. »Für die Polizei ist der Fall aufgeklärt. Es war der Freund des Mädchens, Joachim, der Besitzer des Pornoklubs. Sie können ihn allerdings nicht festnehmen, da er sechs Zeugen hat, die ihm ein Alibi verschaffen. Die kann man nicht alle verklagen und wegen Meineid verurteilen, doch die Polizei ist überzeugt, dass sie lügen.«
Annika schwieg und blätterte in ihren Papieren.
»Das heißt, dass niemand für den Mord verurteilt werden wird?«, fragte Schyman vorsichtig.
»Genau«, bestätigte Annika. »Er wird so lange als ungelöst gelten, bis einer von den Alibileuten anfängt zu reden. Und in fünfundzwanzig Jahren ist alles verjährt.«
Sie stand auf und legte zwei Rechnungen auf den Tisch des Ressortchefs.
»Sehen Sie«, erklärte sie. »Das hier ist die Rechnung aus dem Studio 6 von der Nacht zwischen dem 27. und 28.
Juli dieses Jahres. Sieben Personen haben sich Unterhaltung und Erfrischungen im Wert von 55 600 Kronen gekauft. Die Rechnung ist von Josefine gebongt, das erkennt man an dem Code hier, und wurde mit einer Diners-Club-Karte bezahlt, die auf
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