Studio 6
anschauen, doch nicht das Radioprogramm. Das ist Sache der Kollegen von der Prüfungskommission für Radio und Fernsehen.«
Annika stöhnte.
»Aber kümmern die sich nicht nur um Unparteilichkeit und Sachlichkeit?«
»Ja, es ist richtig, dass sie sich um diese Fragen kümmern, aber sie greifen auch ethische und publizistische Fragen auf. Um welche Art von Veröffentlichung geht es denn?«
»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Annika schnell und legte auf. Dann rief sie die Prüfungskommission für Radio und Fernsehen an.
»Ja, wir können uns um diese Sache kümmern«, bestätigte die Abteilungsleiterin.
»Auch, wenn ich sie aufwerfe?«, fragte Annika.
»Nein, wir kümmern uns nur um die Belange der Öffentlichkeit in Fragen, die Sachlichkeit und Unparteilichkeit angehen. Wenn es um Verletzungen der Privatsphäre einer Person geht, muss die Anzeige von den Betroffenen selbst erfolgen.«
Annika schloss die Augen und stützte den Kopf in die Hand. »Wenn das geschähe, zu welchem Ergebnis würden Sie dann kommen?«
Die Abteilungsleiterin überlegte.
»Der Ausgang eines solchen Verfahrens kann nicht im Vorhinein festgelegt werden. Wir haben solche Fälle schon gehabt, und in einigen wenigen Fällen haben die Hinterbliebenen Recht bekommen. Könnten Sie die Sache etwas genauer beschreiben?«
Annika holte tief Luft.
»Es geht um eine ermordete Frau. Sie ist in einer Radiosendung als Stripperin bezeichnet worden. Ihre Angehörigen hatten nicht zugestimmt, dass die Information veröffentlicht wurde.«
Das stimmte nicht ganz, denn Annika hatte ja überhaupt nicht mit Josefines Eltern geredet. Aber es stimmte wenigstens im Hinblick auf Patricia, und immerhin lebten die beiden zusammen.
»Ich verstehe«, sagte die Abteilungsleiterin. Sie zögerte.
»Das ist nicht ganz astrein«, erklärte sie dann. »Der Kommission muss eine Anzeige zugehen, und man muss die Sache dann prüfen. Es liegt immerhin ein gewisses öffentliches Interesse vor.«
Annika gab auf. Sie merkte, dass sie nicht weiterkommen würde, also bedankte sie sich und legte auf.
Auf jeden Fall, dachte sie, liege ich nicht völlig falsch.
Die Mittagsnachrichten liefen, und Annika legte die Füße auf den Schreibtisch und horchte zerstreut auf Berits Transistorradio. Sie hatten fünf Schlagzeilen, eine über den Nahen Osten, eine über die Kommentare des Ministerpräsidenten zur Christer-Lundgren-Affäre und drei weitere, die Annika sofort wieder vergaß. Während der Nahe Osten abgehandelt wurde, ließ sie die Gedanken schweifen. Als dann der Ministerpräsident kam, drehte sie lauter. Die wohl bekannte Stimme klang etwas gehetzt.
»Sehe ich aus wie ein Mann in der Krise?«
Der Reporter gab eine Erklärung ab und beschrieb, dass der Ministerpräsident entspannt und bester Laune gewesen sei, als er am Morgen in Rosenbad angekommen sei. Der Regierungschef habe nicht besorgt gewirkt wegen der Vorwürfe gegen Außenhandelsminister Christer Lundgren, sondern sehe dem Wahlkampf mit Zuversicht entgegen. Dennoch könne er nachfühlen, was sein Kollege durchmachen müsse.
Nun hatte der Ministerpräsident selbst wieder das Wort.
»Scherz beiseite, Christer Lundgren tut mir natürlich Leid. Diese Art von unbegründetem Verriss durch die Medien ist immer eine Prüfung. Aber ich versichere Ihnen, für die Regierung und für die Partei spielen diese völlig übertriebenen Behauptungen überhaupt keine Rolle.«
Der Beitrag war beendet. Es folgte ein Bericht über eine Untersuchung des Städtetages, und Annika schaltete das Radio aus. Wenn es irgendetwas gab, was sie sterbenslangweilig fand, dann waren es Berichte auf Kommunalebene.
»Hast du diesen Blödsinn verzapft?«
Patricia blinzelte verschlafen in den Lichtstreifen, der zwischen den Vorhängen hereindrang, nahm den Hörer ans andere Ohr und versuchte sich auf der Matratze aufzusetzen.
»Hallo«, murmelte sie, »wer …?«
»Versuch nur nicht, mir auszuweichen. Sag jetzt, wie es ist!«
Die gellende Stimme überschlug sich.
Patricia hustete und rieb sich die Augen. Wenn doch die Heuschnupfensaison bald vorüber wäre.
»Barbro, sind Sie das?«, versuchte sie.
»Natürlich bin ich das! Wer sollte es denn sonst sein?
Einer von euren Pornofreunden vielleicht?«
Josefines Mutter fing an, unartikuliert und unzusammenhängend in den Hörer zu brüllen. Patricia rang nach Luft und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Die Wörter verhedderten sich, gruben sich ineinander und wurden diffus. Das Spanische
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